Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/98      Seite 5
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Kurdische Flüchtlinge in Italien

Kurdischer Roter Halbmond begrüßt humanitäre Haltung der italienischenRegierung

Charlotte Schnmitz (Journalistin, Frankfurt), Dr. Rodi Demirkapi (Arzt, Köln) und Adnan Cagli (Dolmetscher, Oldenburg) waren im Auftrag des Kurdischen Roten Halbmondes in Italien. Die Delegation hatte die Aufgabe, die Fluchtgründe, die aktuelle Situation und die Zukunftsperspektiven der geflüchteten Kurdinnen und Kurden zu untersuchen.

Die Flüchtlinge in San Foca

Zwei Auffanglager im süditalienischen San Foca beherbergen die meisten der Flüchtlinge, die kurz nach Weihnachten mit der unter panamesischer Flagge segelnden "Cometa" in Otranto gestrandet waren. Von den 1.200 Flüchtlingen sind noch etwa 400-500 in den Lagern untergebracht, davon leben etwa 400 in San Foca, die übrigen in Roca, ca. 10 km südlich. Der Küstenschutz überwacht die Gegend jetzt gründlich, es werden immer wieder Flüchtlinge aufgegriffen. Die Lager werden von Carabinieri und Polizei hermetisch abgeriegelt. Kamerateams und Journalisten aus ganz Europa und der Türkei stehen vor dem Zaun des Camps und warten auf Neuigkeiten.

Die Rolle der NRO's

Das Lager in San Foca wird von der CARITAS geleitet. Laut italienischem Asylrecht steht jedem Asylbewerber in den ersten 45 Tagen seiner Ankunft täglich eine Summe von 25.000 Lira zu. (Ca. 1.125 DM/Person). Dieses Geld wird der Caritas für die Betreuung des Lagers ausgehändigt. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten sowie die ärztliche Betreuung werden von der Caritas geregelt.

Kurdischer Roter Halbmond blieb ausgesperrt

Der dreiköpfigen Delegation des Kurdischen Roten Halbmonds, zu der auch ein kurdischer Arzt gehörte, wurde der Zugang zum Lager in San Foca von der Polizei verweigert.

Die Irrfahrt der Cometa

Ein Kurde erzählte dem Kurdischen Roten Halbmond seine Flucht. "Wir wurden in der westtürkischen Hafenstadt Canakkale in einen alten Kahn verfrachtet. Das Zeil hieß Italien. Dafür mußte jeder von uns bis zu 6.000 DM bezahlen. Man konnte auch in Raten bezahlen, einen Teil bei der Abfahrt und den Rest nach der Ankunft. Die Abfahrt war problemlos, weil die türkischen Zollbeamten und Polizisten Bestechungsgelder bekommen hatten. Einige Meilen entfernt von Italien, noch vor der albanischen Küste, fuhr das Schiff immer im Kreis. Wir hatten den Eindruk, es sollte Zeit gewonnen werden. In der Nacht kamen sechs bewaffnete Albaner an Bord und durchsuchten uns mit vorgehaltener Kalaschnikow. Einige von uns wurden sogar nackt ausgezogen und mißhandelt. Die Albaner nahmen uns unser gesamtes Geld und Gold weg, insgesamt an die 50.000 DM von uns allen zusammen. Nach diesem Überfall fuhr das Schiff weiter. Wir landeten an der italienischen Küste und wurden dann von der Küstenwache festgenommen. Insgesamt waren wir elf Tage unterwegs." Durch die Lange Fahrt und die Mißhandlung waren die Flüchtlinge total erschöpft. Sie beklagten sich immer wieder, daß bisher kein Dolmetscher eingeschaltet wurde, dem sie ihre Probleme schildern konnten. Vor allem die Kinder, Frauen und ältere Menschen haben unter der Flucht sehr gelitten, sie können aber ohne Übersetzer dem Arzt ihre Beschwerden nicht vermitteln.

Schengen: Europa schottet sich ab

Der Kurdische Rote Halbmond hält vorliegende Berichte über weitere kurdische Flüchtlingsgruppen, die sich auf dem Wege nach Europa befinden, für glaubwürdig. Nach Aussagen unserer Beobachter in Nordwestkurdisten (Türkei), versucht die türkische Armee mit einer erneuten Winteroffensive die Guerillaeinheiten der PKK aus ihren Positionen zu vertreiben. Auch in Südkurdistan (Nordirak) befinden sich zur Zeit, weitestgehend unbeachtet von der internationalen Öffentlichkeit, noch immer starke türkische Truppenverbände. Ihre Stärke wird auf über 20.000 geschätzt.

Die fortgesetzten Kampfhandlungen und die anhaltenden Dorfzerstörungen durch die türkische Armee bringen täglich neue Flüchtlinge hervor.

Der Kurdische Rote Halbmond begrüßt die humanitäre Haltung der italienischen Regierung gegenüber den kurdischen Flüchtlingen. Die in diesem Zusammenhang von Seiten der Bundesregierung erhobenen Vorwürfe sind völlig deplaziert. Sie dienen offensichtlich dazu, die tatsächlichen Gründe für die Fluchtbewegung, die in dem Krieg in Kurdistan zu suchen sind, in den Hintergrund treten zu lassen. Vielmehr sollte darüber nachgedacht werden, wie eine humanitäre Lösung im europäischen Rahmen erzielt werden kann. Der Kurdische Rote Halbmond setzt sich dafür ein, daß die Flüchtlinge als Kriegsflüchtlinge einen Sonderstatus außerhalb des gültigen Asylrechts und damit ein uneingeschränktes Bleiberecht bis zur Beendigung des Krieges in Kurdistan erhalten.

Kurdischer Roter Halbmond

Weitere Infos: Kurdischer Roter Halbmond, In der Stehle 26, 53547 Kasbach-Ohlenberg oder in Oldenburg, Am Festungsgraben 10, 26135 Oldenburg


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