Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/98      Seite 16
 
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Ein Tutsi in Deutschland

Was tut ein Asylbewerber, der in Deutschland keiner geregelten Arbeit nachgehen kann und der außerdem gezwungen ist, relativ isoliert in einer Gemeinschaftsunterkunft zu leben, um den Frust zu bekämpfen? Thomas Mazimpaka hat sich hingesetzt und ein Buch über seine Erfahrungen als Flüchtling und Asylbewerber in Deutschland verfaßt. Ein Buch in deutscher Sprache und dazu interessant geschrieben, obwohl Thomas Mazimpaka bei seiner Einreise nach Deutschland im Oktober 1991 noch kein Wort Deutsch sprach.

Aus diesem Buch las der studierte Betriebswirt aus Ruanda am 16. Januar im PFL einige kurze Passagen vor - in flüssigem Deutsch, das er mit einem leichten französischen Akzent spricht - und beantwortete anschließend Fragen aus dem Publikum, welches er durch seine Ausstrahlung und Sprachgewandtheit in den Bann gezogen hatte.

Eingeladen zu dieser Veranstaltung hatten Ulrich Hartig und seine Mitstreiter von IBIS - Interkulturelle Arbeitsstelle e.V., die vorher durch Zeitungsberichte auf Thomas Mazimpaka aufmerksam geworden waren.

Beinahe wäre es niemals zu diesem Auftritt gekommen. Bei seiner Einreise nach Deutschland, der ein einmonatiger Zwischenaufenthalt in der Schweiz vorausgegangen war, setzten die deutschen Beamten zunächst alles daran, um den Flüchtling aus Ruanda schon an der Grenze zurück in die Schweiz zu schicken. Sein in Deutschland lebender Bruder hatte alle Mühe, die Grenzbeamten dazu zu bewegen, daß sie Thomas Mazimpaka einen Asylantrag stellen ließen. Damit begann für ihn der lange Weg durch verschiedene deutsche Asylbewerberunterkünfte.

Wie lange Thomas Mazimpaka noch auf seine Anerkennung als Asylberechtigter warten muß, steht auch heute, sechs Jahre nach seiner Einreise, noch in den Sternen. Sein Verfahren liegt zur Zeit auf Eis, da, wie das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mitteilte, eine Entscheidung solange nicht möglich sei, wie bestimmte Informationen aus Ruanda wegen der unübersichlichen Lage in dem afrikanischen Land nicht erhältlich sind. Welche Informationen das Amt damit meinte, wurde leider nicht gesagt.

Was ist ein Tutsi?

Um zu wissen, warum Thomas Mazimpaka seine Heimat wahrscheinlich für immer verlassen hat, muß man wissen, was ein Tutsi ist. In dem kleinen Land Ruanda bilden die Tutsi mit 15 Prozent Bevölkerungsanteil eine ethnische Minderheit.

Tutsi gibt es in Ruanda, wo sie ursprünglich von Norden eingewandert sind, seit ca. 600 Jahren. Da sie der einheimischen Bauernbevölkerung der Hutu überlegen waren, rissen die Tutsi die Herrschaft an sich und bildeten kleinere Staatswesen.

Ende der 60er Jahre verloren die Tutsi mit der Demokratisierung ihre Machtstellung an die Hutu-Mehrheit, die alsbald begann - als Vergeltung für die jahrhundertelange Fremdherrschaft - die verhaßte Minderheit zu verfolgen. Dieser ethnische Konflikt ist umso bemerkenswerter, als beide Volksgruppen die gleiche Sprache sprechen und auch der gleichen Religionsgemeinschaft angehören. Vor der Verfolgung flohen viele Tutsi in benachbarte Staaten, wo sie sich organisierten und vor sieben Jahren mit militärischen Mitteln eine Invasion und Machtübernahme versuchten, die Ruanda in den Bürgerkrieg stürzte. Thomas Mazimpaka wurde gewarnt, daß sein Name auf einer der Todeslisten des Hutu-Regimes stünde, und verließ das Land mit einem Touristenvisum.

Schwierige Zeit in Ostdeutschland

In seinem Buch beschreibt Thomas Mazimpaka die Angst vieler Asylbewerber, daß sie in eines der neuen Bundesländer geschickt werden würden, ein Schicksal, welches sich kein Ausländer wünschte, welches Thomas Mazimpaka aber alsbald am eigenen Leibe erfahren sollte. Er wurde als einziger Afrikaner in ein Asylbewerberheim in der Nähe von Dresden geschickt. Eine schwierige Zeit begann, eine Zeit der Isolation, der quälenden Erfahrungen, die sich auch in körperlichen Anzeichen ausdrückten. Thomas Mazimpaka beschreibt, wie er im Alter von 34 Jahren erste graue Haare feststellt. Die Stimmung in dem Heim charakterisiert er an einer Stelle mit "wie in einem psychiatrischen Krankenhaus". Bei seinen Spaziergängen im nahen Wald entdeckt er die positiven Kräfte der Natur, aber auch, daß deutsche Spaziergänger Angst vor dem "schwarzen Mann" haben. Er beschreibt, wie er die Jagd auf Ausländer durch einheimische Jugendliche erfährt, und die Verwirrung und Hilflosigkeit seines Zimmergenossen, eines Rumänen, als die Polizisten kommen, um ihn abzuschieben.

Fragen an einen Flüchtling

Wie er seine persönliche Perspektive sieht, möchte ein Fragesteller wissen. Das sei abhängig vom Ausgang seines Asylverfahrens, gibt er Auskunft. Bei einem positiven Ausgang, also als anerkannter Asylant, steht es ihm frei, sich in jedem beliebigen europäischen Land niederzulassen. In Deutschland bleiben will er in diesem Fall eher nicht. Er sieht sich als Kosmopoliten, der überall auf der Welt zurechtkommen würde, was man ihm ohne weiteres auch abnimmt.

Gibt es Fristen für die Ausländerbehörde, innerhalb derer sie das Asylverfahren zuende bringen müssen? Diese Frage verneint Mazimpaka, eine gesetzliche Regelung sei ihm nicht bekannt. Könnte er eventuell auch sein ganzes Leben als Asylbewerber in Deutschland zubringen? An dieser Stelle wird er heftig: "10 Jahre lang wie ein Kind zu leben, ist nicht mein Wunsch", sagt er und meint damit die totale Unmündigkeit und Abhängigkeit, in der er als Asylbewerber leben muß.

Keine eigene Wohnung zu haben, gezwungen zu sein, in Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen, keine Bewegungsfreiheit zu genießen, nur mit behördlicher Erlaubnis seinen Aufenthaltsort verlassen zu dürfen, von Zuwendungen der Behörden abhängig zu sein, kein eigenes Einkommen zu haben, weil er keiner Arbeit nachgehen darf, usw.

Eine persönliche Frage: Ob er so etwas wie Heimweh empfinde, wenn er an sein Heimatland denkt. Heimweh ist "Menschenweh", ist seine Antwort darauf und er erklärt, daß seine Angehörigen in Ruanda alle tot seien - seine jüngeren Geschwister wurden ermordet - und die Menschen, die verantwortlich seien für ihren Tod, lebten noch dort. "Ich habe meine Vergangenheit verloren", sagt er sehr bestimmt.

Die nächste Frage erfreut ihn. Ob er in den Asylbewerberheimen auch positiven Aspekten des Lebens begegnet sei. Ja, jede Sache habe ihre positiven Seiten, und im Falle der Asylantenheime sei es für ihn eine sehr wertvolle Erfahrung gewesen, daß er so vielen verschiedenen Menschen begegnet sei, die aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen stammten. Aber entscheidend sei immer das menschlich Verbindende über alle kulturellen und herkunftsbedingten Unterschiede hinweg. Diese Erfahrung hat sein Leben nachhaltig beeinflußt, weil er sein Interesse an Menschen entdeckt hat, auch wenn er im übrigen zu der Ansicht neigt, daß die Zeit als Asylbewerber eine verlorene Zeit ist.

tog


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