Oldenburger STACHEL Ausgabe 2/98      Seite 1
 
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Gentechnikfrei aus Niedersachsen

Volk soll Politikern zeigen, wo´s langgeht

Oktober 1996: 40 Greenpeace-Aktivisten protestieren als Kaninchen verkleidet vor der Unilever-Zentrale in Hamburg gegen Gentech-Soja aus den USA. Ein großes Banner mit der Aufschrift: "Wir sind keine Versuchskaninchen – keine Gen-Soja in Lebensmitteln" unterstreicht ihre Forderung.

Ein anderer Zeitpunkt, ein anderer Ort, aber es geht um die gleiche Sache: Greenpeace-Protest gegen gentechnisch verändertes, aber nicht gekennzeichnetes Soja und gentechnisch veränderten Mais an der Entladerampe einer Mainzer Ölmühle. Dort werden Sojabohnen aus den USA verarbeitet. Das mitgeführte Transparent trägt diesmal die Aufschrift: "Wo Gentechnik drin ist, muß Gentechnik drauf stehen." Aufkleber mit dieser Aufschrift tauchen im November 1997 auch in vielen deutschen Supermärkten auf. Seit 1. November 1997 gilt die EU-weite Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten. Doch obwohl die sog. "Novel-Food-Verordnung" die Kennzeichnung vorschreibt, geschieht erst einmal gar nichts. Der Grund: Die EU hat es versäumt, rechtzeitig Vorschriften zu erlassen, welche die Art der Kennzeichnung und die Prüfverfahren für Gen-Food verbindlich festlegen.

Volksbegehren für Kennzeichnung

Bewegung kommt seit November in die Sache– und die kommt von unten, aus dem "Volk". "Gentechnikfrei aus Niedersachsen" nennt sich eine Initiative, die die Kennzeichnung gentechnikfreier Lebensmittel in Niedersachsen zum Ziel eines Volksbegehrens gemacht hat. Die Initiatoren sind neben Naturschutzverbänden wie dem BUND und dem NABU Niedersachsen auch die AG Niedersächsischer Studentenwerke, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), außerdem Kirchenvertreter, Landespolitiker, Reformhäuser und niedersächsische Initiativen gegen die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen. Unterstützt wird die Initiative u.a. von den Bündnisgrünen, dem Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU), dem BIOLAND-Verband, der Niedersächsischen Landjugend, dem Jugendumweltnetzwerk (JANUN), den JUSOs, der Ländlichen Erwachsenenbildung (LEB), dem VNB, der Verbraucher-Zentrale Niedersachsen, der ÖTV und dem Ökologischen Ärztebund Deutschland (ÖÄB).

Startschuß für Oldenburg

Eine Auswahl dieser Organisationen hatte am 6. Februar in Oldenburg zu einer gemeinsamen Pressekonferenz geladen.

Neben der Koordinatorin des Volksbegehrens, Gisela Wicke aus Hannover, standen dort Gerhard Kiehm, Geschäftsführer des Oldenburger Studentenwerks, Renate Beckmann, Ernährungsberaterin der Oldenburger Verbraucher-Zentrale, die Landespastorin der Evangelisch-Reformierten Kirche, Hilke Klüver aus Leer, Viola Wöbse-Dahnken von der Nieders. Landjugend, Dirk Middendorf vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und Oliver Kraatz, Koordinator für das Volksbegehren bei der NABU-Bezirksgruppe Oldenburger Land Rede und Antwort.

"Die Bewegung muß von unten kommen", stellte Viola Wöbse-Dahnken von der Landjugend – schon ziemlich gegen Ende der Konferenz – fest, als die Rede auf die Verantwortlichen in der Politik kam. Man müsse an der Basis anfangen, nicht bei den Politikern, wenn man etwas bewegen wolle, so ihre Feststellung. Anfangs hatte Gisela Wicke vom Koordinationsbüro in Hannover von einer breiten Unterstützung für das Volksbegehren berichtet.

Breite Unterstützung

"Wir haben bislang 31000 Unterschriftenlisten verschickt, und über 110 Organisationen in Niedersachsen haben sich hinter das Volksbegehren gestellt" lautete ihre Bilanz. Ziel des Volksbegehrens sei es, eine Gesetzesvorlage in den Niedersächsischen Landtag einzubringen.

Gütesiegel "GentechFrei"

Das Gesetz soll eine einwandfreie Kennzeichnung gentechnikfreier Lebensmittel durch ein Gütesiegel ermöglichen, welches vom Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium vergeben werden soll. Verstöße gegen die Kennzeichnungspflicht sollen außerdem teuer werden: Bis zu 50000 Mark Geldbußen sieht der Gesetzentwurf vor, um schwarzen Schafen auf die Finger zu klopfen.

Damit das Volksbegehren in Niedersachsen amtlich zugelassen wird, müssen zunächst 25000 Unterschriften von Wahlberechtigten gesammelt werden. Die Initiatoren gehen davon aus, daß sie die schon jetzt zusammen haben. Erste Zahlen sollen Ende Februar vorliegen.

Entscheidende Phase

In der zweiten Phase geht es dann ums Ganze: 630 000 Personen, 10 Prozent aller Wahlberechtigten, müssen sich per Unterschrift für die Gesetzesinitiative aussprechen, damit im Landtag darüber beraten wird. Zur Finanzierung der Aktion werden in der ersten Phase ca. 140 000 Mark benötigt, die aus Spenden oder anderwärtig aufgebracht werden sollen. Für die zweite Phase rechnen die Initiatoren mit Kosten mindestens in gleicher Höhe.

Sollte die erforderliche Stimmenzahl nicht zusammenkommen, besteht nach Aussage von Gisela Wicke immer noch die Möglichkeit, daß die Parteien im Landtag das vorgeschlagene Gesetz übernehmen. In der SPD, sagt dazu Gerhard Kiehm vom Studentenwerk, gebe es diesbezüglich keine einheitliche Meinung ( Gibt es die denn in der SPD bei anderen Themen? d.T.).

Risiken und Nebenwirkungen?

Die Unterstützer des Volksbegehrens zählen zwar allesamt zu den Kritikern der Gentechnik, aber begründen dies auf ganz unterschiedliche Weise. So sieht etwa Dirk Middendorf vom BDKJ-Landesverband in der Einführung von gentechnisch manipulierten Lebensmitteln "einen Eingriff in die Schöpfung Gottes". Die Ehrfurcht vor dem Leben verbiete es, Tier- und Pflanzenwelt vornehmlich unter dem Gesichtspunkt ihres Nutzens und der Verwertbarkeit für den Menschen zu sehen. Ein "im Grunde weltweites Problem" sieht Hilke Klüver, Landespastorin der Evangelisch-reformierten Kirche, in der Einführung gentechnisch veränderter Lebensmittel. Sie möchte das Augenmerk stärker auf die globalen Auswirkungen lenken und auch die Frage nach unserem Verhältnis zu den südlichen ("3.-Welt-Staaten") mit möglichst vielen Menschen diskutieren. Die Gentechnik geht nach ihrer Auffassung an den eigentlichen Bedürfnissen der Menschheit vorbei, weil nur einige wenige davon profitieren. "Wir dürfen nicht dem Egoismus Vorschub leisten", lautet ihr Plädoyer für mehr Menschlichkeit.

Renate Beckmann von der Verbraucher-Zentrale verweist auf die Gesundheitsaspekte. Die Auswirkungen gentechnisch veränderter Produkte auf den menschlichen Organismus seien nicht einzuschätzen. Genmanipulierte Pflanzen bildeten andere Inhaltsstoffe mit unbekannten Folgen für den Menschen, Allergiker würden auf Fremdgene in Nutzpflanzen unvorhersehbare Reaktionen zeigen und schließlich seien Antibiotika-Resistenzen zu befürchten.

Nach Darstellung der Biologin Gisela Wicke können auch ökologisch unliebsame Auswirkungen durch die Freisetzung genmanipulierter Organismen auftreten. Untersuchungen hätten bestätigt, daß die Eigenschaften von gentechnisch veränderten Pflanzen sich durch Pollenflug ausbreiten und dabei auch vor Artgrenzen nicht haltmachen.

Bio-Bauern klagen

Von Gen-Raps seien die Gene auch auf nahe verwandte Wildpflanzen-Arten übergesprungen. In Baden-Württemberg habe zudem schon ein Biobauer auf "Eigentumsverletzung" geklagt, weil er die Gentechnik-Freiheit seiner Produkte gefährdet sieht.

Wenn es nach dem Willen der Initiatoren des Volksbegehrens geht, sollen bald nicht nur Gen-Lebensmittel gekennzeichnet werden, sondern auch Saatgut. Auch Zusatzstoffe, Enzyme und Aromen für die Lebensmittel-Industrie sollen der Kennzeichnung unterliegen.

Studiwerk macht Aktionstag

Gerhard Kiehm vom Oldenburger Studentenwerk erläutert, daß die niedersächsischen Studentenwerke, die landesweit 33 Mensen an 25 Hochschulen betreiben, bereits seit 1993 von ihren Lieferanten Erklärungen verlangen, in denen die Gentechnikfreiheit der gelieferten Waren zugesichert wird. "Ein möglichst großes Maß an Sicherheit für den studentischen Verbraucher in den Mensen zu schaffen, ist und bleibt ein Hauptanliegen der Studentenwerke", sagt Kiehm als Sprecher der AG niedersächsischer Studentenwerke. Außerdem weist er auf den geplanten niedersachsenweiten Aktionstag zu diesem Thema hin, der sich an die Studierenden richten soll. Neben Informationen werden in den Uni-Mensen auch die Listen für das Volksbegehren ausliegen, in die sich jedeR eintragen kann. Dabei geht es, wie die Koordinatorin Wicke noch einmal betont, nicht um die Entscheidung für oder gegen den Einsatz der Gentechnik, sondern ausschließlich um die Kennzeichnung der Lebensmittel.

NABU macht Infostände

Unterschriftenlisten hält auch der Naturschutzbund (NABU) bereit, der nach Aussage von Oliver Kraatz, dem zuständigen Koordinator, ab März mit ganztägigen Ständen in der Oldenburger Innenstadt, jeweils freitags und samstags, um Unterstützung für das Volksbegehren werben will.

Vielleicht gesellen sich ja dann auch ein paar Aktive von Greenpeace dazu – zur überverbandlichen Kontaktpflege.

tog


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