Oldenburger STACHEL Ausgabe 2/98      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Flüchtlinge aushungern?

Sollen 250.000 Flüchtlinge ausgehungert werden? Sind in einem der reichsten Länder der Erde, in Deutschland, so viele Menschen davon bedroht, durch Mangel an Essen, Trinken und Wohnung vertrieben oder in die Illegalität und Kriminalität abgedrängt zu werden? Deutscher Mensch glaubt es kaum. Und doch beschloß der Bundesrat am 6.2.98 das "Zweite Gesetz zur Änderung des Ayslbewerberleistungsgesetzes". Inhalt: Den geduldeten Flüchtlingen in Deutschland soll künftig keinerlei Leistung mehr gewährt werden. Sie sollen weder Geld- noch Sachmittel erhalten, also auch keine Sozialhilfe mehr, keinen Krankenversicherungs schutz. Betroffen davon sind alle abgelehnten AsylbewerberInnen und alle anderen Flüchtlinge, die keine Daueraufenthaltsgenehm igung haben, aber aufgrund der Schutzbestimmu ngen der Genfer Konvention oder wegen der Haltung der Heimatregierungen nicht abgeschoben werden können. Betroffen davon sind alle Menschen aus Bosnien-Herzegowina, alle Kosovo-AlbanerInnen, frühere DDR- GastarbeiterInnen aus Vietnam, möglicherweise auch Kriegsflüchtlinge aus Afghanistan, Somalia, Algerien.

Überwiegend sind es Familien mit Kindern. Und was heißt schon "abgelehnte Asylbewerber"? Sind Flüchtlinge durch ein EU-Land eingereist, ist das schon ein Abschiebungsgru nd; ist Folter oder z.B. Verstümmelung von jungen Frauen oder Massaker durch Bewaffnete wie in Algerien "landesüblich", so wird der Asylantrag abgelehnt, wenn er sich darauf gründet... Für das barbarische Vorhaben des Nahrungsentzugs stimmten im Bundesrat neben Bayern und Baden-Württemberg auch das Saarland und Niedersachsen. Innenminister und designierter Schröder-Nachfolger Glogowski begrüßte und begründete es. Eingebracht hatte den Gesetzentwurf Berlin, regiert von den Sozial- und Christdemokraten.

Wen betrifft es?

Einige SPD-Abgeordnete im Bundestag äußerten "tiefes Unbehagen". Warum? Frau Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD) kritisierte "Tendenz, Zeitpunkt und Zungenschlag" des Vorhabens. Aha! Solch ein Gesetz spricht zwar gut den äußerst rechten Rand an, mag aber einigen WählerInnen wohl doch zu weit gehen. Die Berliner Sozialsenatorin Beate Hübner meinte, jene AusländerInnen, die wegen drohender Folter oder anderer Abschiebungshindernisse nicht zurückkehren könnten, seien mit dem Gesetz nicht gemeint. Nur steht davon im Gesetzentwurf nichts drin! Denn laut Gesetz droht das Ende aller staatlichen Hilfe künftig auch, "wenn die Auswanderungsandrohun gen noch nicht oder nicht mehr vollziehbar sind.

Keine Hilfe mehr, so Hübner, aber sollte es geben für Flüchtlinge, die ihre Identität verschleierten oder Ausreiseanforde rungen ignorierten, obwohl es für sie "keine Rückkehrhindernisse" gebe. Nur ist die Vernichtung der Papiere für Menschen, die in äußerster Not zu uns kamen, oft der einzige Weg, nicht sofort abgeschoben zu werden...

Innenminister Glogowski betonte, bei der Ausführung des Gesetzes werde es "stark auf die ausländerrechtliche Einschätzung" der jeweiligen Behörde ankommen. Hier kommt viel Verantwortung auf die kommunalen Ämter und Initiativen zu.

Dagegen

Die Grünen im Bundestag beantragten nach dem Beschluß des Bundesrats sofort eine Aktuelle Stunde und kritisierten das Vorhaben heftig. Auch die Diakonischen Werke in Niedersachsen protestierten sofort. Die "Unantastbarkeit der Menschenwürde" (Grundgesetz! Aber so etwas kann man ja leicht ändern...) würde damit außer Kraft gesetzt. Ebenfalls kritisierte das UN-Hochkommisariat für Flüchtlinge (UNHCR) die Sozialhilfe- Streichungsvorhaben. Davon betroffen wären auch Personen, die als Opfer nichtstaatlicher Verfolgung schutzbedürftig seien, erklärte das Flüchtlingshilfswerk. Ähnlich äußerten sich der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverb and und der Leiter des Katholischen Büros der Deutschen Bischöfe. Doch allein (mehr oder weniger vorsichtige) Erklärungen auf Papier werden die ganz Große fremdenfeindliche Koalition nicht stoppen, besonders nicht zur Wahlzeit. Des Deutschen Herz wird als hart vermutet, und so wird gehandelt. Wer das nicht dulden will, sollte diese Haltung jetzt unbedingt vernehmlich demonstrieren und den betreffenden Politikern bzw. Ämtern am besten persönlich die Meinung sagen. Ansonsten haben wir in Deutschland keine geduldeten AusländerInnen mehr, sondern eine schlimme geduldete Barbarei.

achim


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