Oldenburger STACHEL Ausgabe 2/98      Seite 12
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Jordanien: Frauenbewegung zwischen Tradition und Aufbruch

Interview mit Frau Dr. Josi Salem-Pickartz vom Al Kutba Institute for Human Developement, Amman

Am 8. Januar 1998 fand im PFL eine Informationsveranstaltung des Arbeitskreis Asyl und des Autonomen Frauenhauses Oldenburg mit dem Titel "Frauen in Jordanien - Alltag und Ansprüche" statt. Referentin war Frau Dr. Josi Salem-Pickartz vom Al Kutba Institut aus Amman, zu der eine Mitarbeiterin des AK Asyl während eines Praktikums in Jordanien Kontakte geknüpft hatte.

Frau Salem-Pickartz studierte in Bonn Psychologie und promovierte 1983. Sie arbeitete in den achtziger Jahren u.a. bei der Lebenshilfe Syke und baute dort einen Integrationskindergarten auf. 1989 wanderte sie mit ihrer Familie in das Heimatland ihres Mannes, Jordanien, aus. Dort war sie zunächst in Projekten des jordanischen Gesundheitsministeriums und für UNICEF tätig, bevor sie 1995 zusammen mit der Politikwissenschaftlerin Ellen Kettaneh Khouri das unabhängige Al Kutba Institut for Human Developement gründete. In dem Institut arbeiten neben Frau Salem-Pickartz noch drei weitere feste Mitarbeiterinnen; außerdem gibt es noch weitere MitarbeiterInnen auf Projektbasis. Das Institut führt Forschung, Beratung und Weiterbildung im Bereich der Humanwissenschaften durch. Konkret werden z.B. Workshops und Institutionsberatung (für Schulen, Beratungsstellen) angeboten.

Frage: Vielleicht kannst Du zunächst einige grundsätzliche Dinge über die Situation der Frauen in Jordanien sagen.

Salem-Pickartz: Allgemein ist es zunächst vielleicht einmal wichtig zu wissen, daß in Jordanien über 50% der 4,1 Millionen EinwohnerInnen PalästinenserInnen sind, die in den letzten 50 Jahren in verschiedenen Fluchtwellen in das Land kamen. Für die Entstehung und Behinderung politischer Bewegungen, und dazu gehören auch die Frauenorganisationen, spielte das Kriegsrecht, das von 1967 bis 1989 galt, eine erhebliche Rolle. Zur Situation der Frauen kann ich einige Daten nennen, die 1996 durch eine Befragung von über 6000 Frauen durch UNICEF und einem norwegischen Institut zustande kamen. Allgemein haben die Jordanierinnen eine gute Ausbildung, knapp 50% haben das Abitur, 20% eine noch weitergehende Ausbildung aber nur etwa 16% der Frauen sind erwerbstätig. Im Schnitt arbeitet die Jordanierin nur 4 Jahre in ihrem Leben, bevor sie dann weiter für die Familie tätig ist. Das durchschnittliche Heiratsalter liegt zur Zeit bei 24 Jahren, die durchschnittliche Kinderzahl bei 4,5 Kindern. Die Zahl der frühen Heiraten im Alter von 15-19 Jahre ist in den letzten 17 Jahren von 31% auf 8% gesunken. Zur Eigenständigkeit der Frauen ist zu sagen, daß jede zweite Frau nicht alleine zum Arzt, jede dritte Frau nicht alleine zum örtlichen Markt oder zu Verwandten und jede fünfte Frau nicht alleine zum Nachbarn gehen darf. Jeder zweite Mann meint, daß Frauen nicht politisch, jeder dritte, daß sie nicht in gemeinnützigen Verbänden oder NGO's tätig sein sollten und jeder fünfte Mann ist gegen das Frauenwahlrecht. Einig sind sich die meisten Männer und Frauen darin, daß es eine selbständige Wohnmöglichkeit für Frauen nicht geben sollte.

Frage: Wie sieht es mit den Frauenorganisationen aus?

Salem-Pickartz: Frauenorganisationen gibt es in Jordanien schon seit den fünfziger Jahren. Die ersten wurden von palästinensischen Flüchtlingsfrauen zur Selbsthilfe gegründet, allerdings im Zusammenhang mit den politischen Entwicklungen wiederholt aufgelöst. Weitere Frauenorganisationen folgten in den achtziger Jahren. Anfang der neunziger Jahre wurde seitens des Königshauses ebenfalls eine Frauenorganisation gegründet, zu der die unabhängigen Frauenorganisationen zwar Kontakte haben, aber sie wollen auf jeden Fall ihre Eigenständigkeit bewahren. Heute sind etwa 30000 Jordanierinnen in Frauenorganisationen organisiert. Die groben Ziele der Bewegung sind die Verbesserung der Rechtslage für Frauen, z.B. die gleiche Anwendung der bestehenden Gesetze für Männer und Frauen und die Angleichung der Gesetze an das internationale Recht, zum zweiten die Verbesserung der beruflichen Bildung, drittens die Schaffung von Einkommensmöglichkeiten für Frauen und viertens natürlich die Beteiligung von Frauen an den politischen Entscheidungen.

Frage: Wie sieht Eure Frauenarbeit konkret aus?

Salem-Pickartz: Wir versuchen basisorientierte Frauenarbeit zu leisten und Frauen zu eigenverantwortlichem Handeln zu bewegen, damit sie ihre Interessen selber vertreten können. Nach unseren Erfahrungen gibt es vier Niveaus des Bewußtseins bei Frauen über ihre Lage. Da sind zum einen die Frauen, die voll in der patriarchalischen Tradition leben und die dazugehörigen Beschränkungen nicht nur akzeptieren, sondern diese auch verteidigen. Auf der zweite Ebene sind Frauen, die ein umfangreiches Wissen haben und auch außerhäusig tätig sind, sei es in NGO's oder die Berufstätigkeit. Sie kennen ihre Fähigkeiten und fühlen sich in gewisser Weise selbstverwirklicht, behalten aber die Tradition bei und stellen die traditionellen, patriarchalischen Werte nicht in Frage. Auf der dritten Ebene sind Frauen, die ähnlich wie die Frauen der zweiten Ebene sind, aber das traditionelle Wertesystem in Frage stellen und die volle Gleichberechtigung einfordern. Auf der vierten Ebene sind schließlich Frauen, die sich von der Tradition frei gemacht haben, selbständig leben und sehr aktiv sind, z.B. in Frauenzentren usw. Sie zahlen dafür aber oft den Preis einer gesellschaftlichen Isolation.

Unsere Arbeit läuft überwiegend mit den Frauen der zweiten und dritten Ebene in teilnehmerinnenorientierten Workshops. Hier werden mit den Frauen Frauenthemen besprochen und Fähigkeiten vermittelt, die auch gleich praktisch angewendet werden. Da in der jordanischen Gesellschaft eine Geschlechtertrennung zum Alltag gehört, haben wir bei den Workshops in der Regel keinerlei Probleme, männerfreie Räume zu schaffen. Allerdings müssen alle Veranstaltungen von den Behörden genehmigt werden und der staatliche Sicherheitsdienst ist teilweise anwesend. Größere Probleme hat es aber noch nicht gegeben.

Frage: Welche Probleme und Forderungen benennen die Frauen bei den Workshops?

Salem-Pickartz: Bei unserer Arbeit haben wir festgestellt, daß die Bedürfnisse der Frauen in den verschiedenen Regionen Jordaniens ganz unterschiedlich sind. Beispielsweise in Irbid, einer größeren Universitätsstadt im Norden, war für die Frauen die wichtigste Forderung die politische Gleichberechtigung. In Mafraq, einer Stadt sechzig Kilometer südlich von Irbid, im Beduinengebiet, war das größte Problem für die Frauen, wie sie überhaupt aus dem Haus raus kommen. Diese Beispiele ließen sich fortsetzen. Im September 1997 haben wir im Vorfeld der Parlamentswahlen vom 4.11.97 die erste jordanienweite Frauenkonferenz organisiert, an der 150 Frauen teilnahmen, die zuvor auf regionaler Ebene dafür gewählt wurden. Auf der Konferenz wurden zwanzig Forderungen an das neue Parlament verabschiedet, die Gleichberechtigung in den Bereichen Zivilrecht, Gesundheits- und Sozialversicherung, Paß- und Nationalitätenrecht und Beruf vorsehen, sowie Schutz vor körperlicher und seelischer Mißhandlung, ein Kinderschutzgesetz und eine Frauenquote im öffentlichen Dienst und im Parlament.

Bei den Parlamentswahlen bekam leider keine der angetretenen Frauen einen Sitz! Vorher war zumindest eine Frau im Parlament vertreten.

Frage: Auf Deinem Vortrag berichtetest Du von den Plänen, ein Frauenschutzhaus in Amman einzurichten. Welche Probleme gibt es dabei und wie sieht es mit Gewalt gegen Frauen in Jordanien aus?

Salem-Pickartz: Für Jordanien gibt es nur spärliche Daten über das Auftreten von häuslicher Gewalt, da hier die Frage der Familienehre eine sehr große Rolle spielt und derartige Probleme nicht nach außen getragen werden. In einer Studie von 1996 des Al Kutba Institut wurde festgestellt, daß es in 7,5% der Familien während der letzten sechs Monaten zu Gewaltsituationen kam. Eingreifen darf bei derartigen Problemen in Jordanien nur die Polizei und das nur bei offensichtlichen körperlichen Schäden! Andere Personen wie LehrerInnen oder SozialarbeiterInnen sind so gut wie handlungsunfähig. Eine 1995 von der Jordan Woman's Union eingerichtete Hotline kann die verzweifelten Frauen bei Gewaltsituationen auch nur beraten und keine Unterkunfts- und Schutzmöglichkeit bieten. Die Notwendigkeit für ein Frauenschutzhaus ist also auf jeden Fall gegeben. Das größte Problem ist, daß es für ein Frauenhaus keinerlei gesetzliche Grundlage gibt. Die Aufnahme von verfolgten Frauen wäre auf jeden Fall ein Angriff auf die Familienehre, so daß Auseinandersetzungen mit Familienmitgliedern vorprogrammiert sind und die Mitarbeiterinnen gefährdet wären. Da ein Gesetz über den parlamentarischen Weg sehr viel Zeit braucht, hoffen wir zur Zeit auf ein königliches Dekret, das einem Frauenhaus am schnellsten Schutz bieten würde. Der König hat bei der Eröffnung des neuen Parlaments zum erstenmal öffentlich Gewalt gegen Frauen und Kinder als Mißstand bezeichnet, so daß wir guter Dinge sind, daß so ein Dekret durchaus realistisch ist. Allerdings ist auch dies eine Frage des weiteren öffentlichen Drucks.

Mit Frau Dr. Josi Salem-Pickartz sprachen C. Ratter und A. Heinze.

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