Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/98      Seite 16
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

AC-Aktive berichten

Im Rahmen einer Rundreise von Teilnehmern des Euro-Marsches gegen Erwerbslosigkeit hatte die ALSO am 20. Frebruar zu einer Veranstaltung mit zwei Vertretern der französischen Erwerbsloseninitiative AC! ("Gemeinsam handeln gegen Erwerbslosigkeit") eingeladen. Diese berichteten über den derzeitigen Kampf gegen Erwerbslosigkeit in Frankreich. Es folgt eine Zusammenfassung ihrer Ausführungen.

Stellungnahme

"Jeder Erwerbstätige ist ein potentieller Erwerbsloser, und jeder Erwerbslose ist ein potentieller Arbeitnehmer. Sie haben die gleichen Interessen unabhängig davon, in welcher aktuellen Lage sie sich befinden. Deshalb müssen sich die Gewerkschaften um beide in gleicher Weise kümmern. Es gibt keinen Vorrang einer Gruppe vor der anderen!

Unsere Forderungen:

1. Kostenlose Benutzung der Verkehrsmittel für Erwerbslose und ihre Familien!

2. Ausreichendes Einkommen für Nicht- Erwerbstätige unter 25 Jahren!

3. Gerechte Verteilung der Reichtümer! Wir wissen, wo sie sich befinden, und sie gehören uns!

4. 32-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

Die wichtigste Forderung zur Existenzsicherun g ist die Anhebung der Sozialunterstützung auf das Niveau des gesetzlich garantierten Mindestlohnes (siehe Stachel 1/98).

Die Reaktion auf unsere Forderungen

Die Gewerkschaften und linken Parteien an der Regierung waren radikal dagegen. Ihre Gründe:

- Damit würden die Grenzen zwischen Einkommen aus Erwerbsarbeit und sonstigem Einkommen verwischt.

- Die Kosten hierfür wären so hoch, daß die Konvergenzkriterien für Maastricht nicht erreicht würden.

Unsere Antwort darauf:

Wir kämpfen gegen Maastricht nicht mit nationalistischen Parolen und Volksbefragunge n, sondern mit den sozialen Kämpfen aller Arbeit"nehmer" in Europa. Die Grenze verläuft nicht zwiwschen den Völkern, sondern zwischen oben und unten.

Unsere Aktionen:

- Wir haben die Arbeitsämter besetzt, weil sie Stellen angeboten haben, die gegen geltende Tarifverträge und Gesetze verstießen.

- Wir haben die Mautstellen an den Autobahnen besetzt und die Gebühren für soziale Zwecke kassiert.

- Wir haben Luxushotels besucht, um uns ein Bild davon zu machen, wie der von uns erarbeitete Reichtum verwendet wird.

- Wir haben die Gas- und Elektrizitätswerke besucht und dagegen protestiert, daß den armen Menschen bei Nichtzahlung der Gebühren Strom und Gas abgedreht wird. Die CGT hat ihre Mitglieder in den Gaswerken aufgefordert, diese Abschaltungen nicht vorzunehmen.

- Wir haben die Parteibüros der Sozialistischen Partei besetzt, um eine Diskussion über die reale Lage der Erwerbslosen und prekär Beschäftigten sowie deren Verbesserung zu erzwingen. Diese Aktionen verliefen von unserer Seite immer friedlich und ohne Gewaltanwendung. Gewalt wurde von der Polizei angeewendet. Dagegen setzten wir uns zur Wehr.

Aktion Supermärkte

Unsere letzte Aktion war der "Einkauf in Supermärkten". Die Aktion verlief in drei Phasen:

1. Eine Gruppe geht in den Supermarkt und füllt sich die Einkaufswagen mit Luxuswaren wie teure Weine, Lachs, Spielzeug usw.

2. Eine zweite Gruppe von hundert DemonstrantInnen versammelt sich um die Kassen, verteilt Flugblätter, in denen sie auf ihre Lage und auf die schlechte Lage der Kassiererinnen hinweist.

3. Durch diese Aktion sind die Kassen blockiert, nichts geht mehr. Nun wird mit dem Geschäftsführer über die friedliche Beendigung der Aktion verhandelt. Die DemonstrantInnen sind dazu bereit, wenn sie die in den Wagen befindlichen Waren als Geschenk des Supermarkts mitnehmen können. Da die geschäftsführer in aller Regel gut rechnen können, stimmen sie diesem Vorschlag zu. Die "Kunden" verlassen friedlich mit den Waren den Supermarkt.

Anschließend wird ein Fest organisiert, wo diese Waren verbraucht und an Mittellose verteilt werden. An diesen Aktionen nehmen viele Frauen teil.

Die Antwort der Regierung

1. Sie führte die 35-Stunden-Woche ein. Zur Schaffung von genügend Arbeitsplätzen reicht das jedoch nicht aus. Die Einführung der 35- Stunde-Woche schadet dem Kapital nicht, weil hiermit eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten verbunden ist.

2. Sie machte das Angebot, eine Milliarde Francs (= 300 Millionen DM) extra für Erwerbslose und Mittellose auszugeben. Das ist allerdings auch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Aufgeteilt auf alle Erwerbslose macht die Summe pro Nase und Jahr 70 DM aus.

Perspektive

- Wir haben vor, die Aktionen weiterzuführen. Unser gegenwärtiger Erfolg besteht darin, daß die Zahl der Erwerbsloseninitiativen von 150 auf 250 angewachsen ist.

- Wir wollen, daß sich die Bewegung auch in anderen Ländern Europas entwickelt.

- Wir wollen, daß aus dem Europa der Banken und Bosse ein soziales Europa wird.

Eine weitere große Aufgabe besteht darin, die Verbindung zu den traditionellen Gewerkschaften herzustellen und in ihnen die Erkenntnis zu fördern, daß sie die Erwerbslosen unterstützen müssen. Dies ist allerdings eine langfristige Aufgabe, weil die Gewerkschaften nur sehr schwer zu verän dern sind. Von Seiten der Gewerkschaften gibt es Interesse an dieser Arbeit, weil die Entlassungen sehr massiv geworden sind und nicht allein im Betrieb bekämpft werden können. Der Kampf muß öffentlich von allen Betroffenen geführt werden, und betroffen sind alle Menschen, die von Erwerbsarbeit oder von den an die Sozialversicherung gezahlten Beiträgen leben müssen. Betroffen sind allerdings auch die kleinen Unternehmen, die unter der Konkurrenz der Großen und der geringer gewordenen Massenkaufkraft leiden.

Generell muß die Forderung für den politischen Kampf lauten:

Erwerbstätige demonstrieren auf der Straße - Erwerbsalose informieren sich in den Betrieben!"

W.L.


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