Ausgabe 4/98 | Seite 1 | |||||
Die spinnen, die Grünen!
Was an "Ökosteuern" vernünftig ist
Wohl kaum einer wird den Grünen jetzt noch vorwerfen, sie seien Duckmäuser oder Leisetreter. Nachdem sie sich mit ihren vollmundigen Ankündigungen einer Verteuerung des Benzinpreises auf 5 Mark pro Liter (in 10 Jahren) den Unmut der ganzen Autofahrernation zugezogen haben (Zitat: "Die haben doch einen an der Waffel!"), müssen sie sich jetzt des Verdachts erwehren, Ökopolitik mit der Brechstange betreiben zu wollen. Doch durch diesen Akt unfreiwilligen Märtyrertums in einem wichtigen Wahljahr haben die Grünen zumindest eines erreicht, was bislang allen anderen versagt blieb: Ökosteuern, auch als Energiesteuern bekannt, sind in aller Munde; und in den Medien sind sie da, wo sie schon lange hingehören, nämlich in den Schlagzeilen auf den Titelseiten der Tageszeitungen und in den 20-Uhr-Nachrichten im Fernsehen. Mag sein, daß sich die "grünen Amokläufer" benommen haben wie ein volltrunkener Elefant im Porzellanladen. Aber mal ehrlich, der alte Plunder, der dabei zu Bruch ging - wer braucht den eigentlich noch? Also tapfer den Tatsachen ins Auge geschaut und Abschied genommen von den liebgewordenen Hinterlassenschaften vergangener Zeiten. Jetzt ist die Zeit gekommen, daß ein etwas zeitgemäßeres Dekor ins Haus kommt, will sagen: Die Zeit ist reif für den Einstieg in eine ökologische Steuerreform.
Man muß kein Schwabe sein, ...Im Grunde wissen es alle Parteien längst, daß sich etwas ändern muß, denn genausowenig, wie Blicke töten können, hilft das bloße Starren auf die monatlich unverändert hohen Arbeitslosenzahlen gegen die Massenarbeitslosigkeit. Solange deren Ursachen nicht beseitigt sind, wird die Lage auf dem Arbeitsmarkt sich nicht bessern. Und die liegen nun einmal, wie das CDU-Wahlprogramm aus der Feder von Wolfgang Schäuble richtig feststellt, darin begründet, daß bei uns "gerade das besonders teuer" ist, "wovon wir gegenwärtig im Überfluß haben: Arbeit. Dagegen ist das, woran wir sparen müssen, eher billig zu haben: Energie- und Rohstoffeinsatz. Dieses Ungleichgewicht müssen wir wieder stärker ins Lot bringen" - durch eine ökologische Steuerreform. Um dies zu verstehen, muß man kein Schwabe sein. Deshalb sind sich in diesem Punkt auch (fast) alle gesellschaftlich relevanten Gruppierungen im Grundsatz einig.
... um zu verstehen:Der Teufel steckt aber im Detail, wie der Fauxpas der Grünen gezeigt hat. Deshalb hier zunächst in aller gebotenen Kürze einige Beispiele, wie sie aussehen könnte - die Ökosteuer: Der Förderverein Ökologische Steuerreform, dem mehr als 100 einflußreiche Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft angehören, hat sich im Herbst letzten Jahres mit einem Vorschlag zu Wort gemeldet, der die Wirtschaft weitgehend schonen soll. Damit die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erhalten bleibt, soll Prozeßenergie, die für die industrielle Produktion gebraucht wird, ebenso von der Besteuerung ausgenommen bleiben wie die Erneuerbaren Energiequellen.
Ökosteuern bringen Geld und ArbeitsplätzeEine Energiesteuer auf Mineralöl, Strom, Gas und Kohle, die von Jahr zu Jahr, beginnend mit einem Steuersatz von 5% im Jahr 1999, ansteigen soll, würde im ersten Jahr bereits rund 10 Milliarden Mark erbringen. Nach insgesamt sechs Jahren soll das Steueraufkommen bereits bei 60 Milliarden Mark angekommen sein. Gleichzeitig wird angestrebt, die Steuermittel für einen spürbaren Abbau der Einkommen- und Körperschaftssteuer und eine deutliche Reduzierung der Lohnnebenkosten zu nutzen.
Ausnahmen für die WirtschaftAuch der Deutsche Naturschutzring, ein Dachverband, dem 107 bundesdeutsche Umweltverbände angeschlossen sind, hat letzten Sommer ein Konzept für eine ökologische Steuerreform vorgestellt, das ebenfalls Ausnahmeregelungen für energieintensive Branchen miteinschließt. Die Begründung dafür ist, daß eine nationale Steuer auf Energie nicht zu Benachteiligungen im Wettbewerb für deutsche Unternehmen führen soll. Das Konzept sieht für einen Zeitraum von 10 Jahren einen jährlich um 7% steigenden Steuersatz auf den Energieverbrauch vor. Außerdem soll auch die Mineralölsteuer kontinuierlich angehoben werden, und zwar im ersten Jahr um 23 Pfennig pro Liter Benzin oder Diesel. Nach 10 Jahren bedeutet dies einen Anstieg um 2,23 Mark pro Liter. Damit bliebe der Benzinpreis um ca. 1,25 Mark unter der 5 Mark-Marke. Insgesamt würde das jährliche Steueraufkommen von 9 Milliarden Mark im ersten auf 120 Milliarden Mark im zehnten Jahr ansteigen. Durch die damit einhergehende Senkung der direkten Steuern und Lohnnebenkosten könnten 0,6 bis 1,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, ohne daß die Steuerbelastung für die Bürger insgesamt steigen würde. Zugegeben: 5 Millionen sind es nicht, aber immerhin ... (Und: Der Feind des Guten ist das Bessere! Wer was Besseres weiß, soll es machen - aber bitte ökologisch und sozial ausgewogen!)
Was bedeutet Strukturwandel?Durch die ökologische Steuerreform sollen vor allen zwei Dinge erreicht werden (zitiert nach GREENPEACE, 1995: Ökologische Steuerreform - Sackgasse oder Königsweg?): "Eine Ökologische Steuerreform verteuert nicht allein die Energieträger, sondern gibt auch Impulse für einen Strukturwandel der Wirtschaft insgesamt. Auch die Preise aller anderen Erzeugnisse verändern sich, da bei ihrer Produktion unmittelbar mehr oder weniger Energie eingesetzt wird. Dies beeinflußt die internationale Wettbewerbsfähigkeit einzelner Branchen in der Bundesrepublik. Bei energieintensiven Wirtschaftzweigen wie Stahlhütten oder Grundstoffchemie entsteht ein großer Kostendruck zur Einsparung und besseren Nutzung von Energie.
Es gibt auch GewinnerZu den Gewinnern einer ökologischen Steuerreform zählen arbeitsintensive Branchen wie beispielsweise Baugewerbe, Maschinenbau- und Elektroindustrie sowie Dienstleistungsunternehmen. Sie können günstiger produzieren und anbieten, da sie von den geringeren Lohnnebenkosten profitieren. Insgesamt wird sich die Nachfrage von energieintensiven zu arbeitsintensiven Produkten verschieben. Zweitens: Sinkende Lohnnebenkosten ermöglichen den Betrieben, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Nach einer Studie des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 1994) würden innerhalb von 10 Jahren rund eine halbe Million Arbeitskräfte eingestellt - unter besonders günstigen Bedingungen sogar 800 000. Gleichzeitig würde der bundesdeutsche Kohlendioxid-Ausstoß bis zum Jahr 2010 um 25% sinken, der Energieverbrauch um 24%." Es bleibt zu hoffen, daß die Wirkung des Schocks, den die Grünen mit ihrer Forderung nach Anhebung des Benzinpreises ausgelöst haben, eine heilsame sein wird, und daß der Zündstoff, den sie in die Diskussion eingebracht haben, noch bis zur Bundestagswahl vorhält, auf daß letztendlich die Vernunft - ökologisch wie ökonomisch - siegen wird. tog
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