Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/98      Seite 3
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Anti-Drogen-Konzept muß her!

Es wird Zeit, daß die Stadt Oldenburg ihre hauptsächlich repressiven Maßnahmen gegen Drogenabhängige, Substituierte und Obdachlose ersetzt durch ein umfassendes Anti-Drogen- Konzept, das die drei Elemente Vorbeugung, Hilfe und Repession gleichwertig enthält. Das weitere Vorgehen sollte in Diskussion und Zusammenarbeit mit den bereits aktiven Institutionen und Initiativen beschlossen werden und eine stärkere Förderung der "niedrigschwelligen Angebote" beinhalten. In diesem Sinne äußerte sich der Oldenburger Professor Meyenberg in einem Gespräch mit dem STACHEL. Professor Meyenberg erarbeitet für die Stadt ein Gutachten zur Anti-Drogen- Politik. Erste Ergebnisse werden im zweiten Halbjahr 1998 vorliegen.

STACHEL: Herr Professor Dr. Meyenberg, wie schätzen Sie die Entwicklung der Oldenburger Drogeszene in den letzten Jahren ein?

Prof. Meyenberg: Besonders durch das Entstehen einer aggressiven Dealerszene hat sich die Situation in letzter Zeit verschärft. Deshalb habe ich auch erst einmal Verständnis für den Zugriff der Polizei: Ein weiterer Zuzug von Dealern und Konsumenten mußte verhindert werden. Die Polizei muß präsent sein und abschrecken. Das Angebot mußte reduziert werden. Es ging nicht an, daß Leute z.B. am Hallenbad offen von Dealern angesprochen wurden. Das spricht sich bei Dealern in Cloppenburg oder in Holland oder anderswo blitzschnell rum, wenn in Oldenburg günstig Drogen verkauft werden können.

STACHEL: Ja, ich habe es selber erlebt, daß am Hallenbad fünfzehnjährige Schüler aus einem Gymnasium, die auf einen Bus warteten, von einem Dealer angesprochen wurden.

Prof. Meyenberg: Klar ist aber auch: Nicht EINEM Drogenabhängigen ist mit diesen polizeilichen Maßnahmen geholfen! Das wäre Aufgabe eines Drogenhilfesystems, für das wir in dem Gutachten einen Vorschlag erarbeiten. Im Moment inventarisieren wir das gesamt bestehende Beratungs- und Betreuungsangebot, wie z.B. die Arbeit der Obdachlosenunterkunft , die Tätigkeit von "YES" oder der "Rose 12". Es geht bei der zu betreuenden Gruppe in der Innenstadt ja nicht nur um Hartdrogenabhängig e - im Gegenteil! Es gibt da ungefähr 120 Substituierte, die unter ärztlicher Aufsicht statt des bisherigen Rauschgiftes einen Ersatzstoff einnehmen. Es gibt da Alkoholabhängige, Obdachlose, Durchzügler, viele Medikamentenabhängige ... Dadurch wird das Beratungsangebot schwierig! Es ist keine homogene Gruppe, sie ist sozial schwierig und ohne Dach über dem Kopf. Doch das Besondere in Oldenburg ist: Nach 20 Uhr ist Schluß! Das ist anders als in Städten wie Hamburg oder Frankfurt. Das Angebot müßte also vormittags und nachmittags stattfinden.

Wo sollen sie hin?

Gemeinsam ist dieser Klientel in der Innenstadt, daß sie keinen Aufenthaltsraum hat. Sie muß sich treffen, es ist eine soziale Grundhaltung, sich zu treffen, das tun wir alle. Also muß sie sich öffentlich treffen. Hier fehlt ein niedrigschwelliges Angebot! Ein Angebot, das auch im Winter, zu Weihnachten oder an Wochenenden bereitsteht. Denn natürlich sind sie dann auch da, man kann ihnen zu dieser Zeit doch nicht nur eine Antwort auf einem Anrufbeantworter anbieten. Hier ist das Konzept von "YES" attraktiv, die sagen: "Wir lassen in unseren Räumen einen Aufenthalt so und in der Zeit zu, wie er von der Klientel gewünscht wird." Es stellt sich in Oldenburg in der Tat die Frage: Müssen wir "Druckräume" haben? Räume, in denen die Hartdrogenabhängigen die Mittel zum Desinfizieren etc. und die Ruhe haben, die sie nach einem "Schuß" brauchen. Denn dann erleben sie alle Sinneseindrücke verstärkt, ein leises Geräusch kommt ihnen wie eine Explosion vor. Es ist am besten, wenn sie dann von der Umgebung abgeschirmt sind. Es muß die Frage beantwortet werden: Wo sollen sie hin?

STACHEL: Gibt es solche "Druckräume" bereits in anderen Städten?

Prof. Meyenberg: Ja, die gibt es bereits, z.B. in Frankfurt und Hannover. In der Landeshauptstadt ist das ein Modellversuch mit dem Namen "Fixpunkt".

Bündel von Maßnahmen nötig

Der "Fixpunkt" wird von uns in der Uni Oldenburg begleitet und ausgewertet. Im "Fixpunkt" gibt es zur Straßenseite hin ein öffentlich zugängliches Cafe', dahinter liegen vier "Druckräume". Vier MitarbeiterInn en betreuen die Drogenabhängigen. So etwas wäre auch in Oldenburg sinnvoll. Es wäre eine Alternative zum Treff auf dem Waffen- oder Marktplatz. Die Räume müßten allerdings gut erreichbar in der Innenstadt liegen, weit außerhalb z.B. in Kreyenbrück oder Donnerschwee wären sie nicht attraktiv.

STACHEL: Könnten Sie noch einmal auf die Untersuchung eingehen, die Sie für die Stadt durchführen?

Prof. Meyenberg: Also, ERSTENS inventarisiere n wir das bestehende Angebot, ZWEITENS beschreiben wir, was ein niedrigschwelliges Angebot ausmachen würde, DRITTENS fragen wir, was die Stadt Oldenburg tun müßte und wie sie ihre Mittel am besten einsetzen könnte. Klar ist, daß es Defizite im niedrigschwelligen Versorgungsangebot für die Hartdrogenabhängig en, Alkoholabhängigen und die übrige Szene gibt. Die Gruppe ist heterogen, entsprechend flexibel muß das Angebot sein. Man denke nur an die ca. 120 Substituierten, die brauchen ein anderes Betreuungsangebot als die Hartdrogenkonsumenten. Ein Bündel von Maßnahmen ist notwendig, den EINEN Weg gibt es nicht. Die Stadt wird dann politisch entscheiden, was zu bezahlen ist und was getan wird.

Repression UND Hilfe!

Bezogen auf die aktuelle Vertreibungspolitik der Stadt heißt das, daß Drogenpolitik neben der Repression immer auch ein Hilfsangebot beinhalten muß. Jedes Land wird immer einen Teil von Menschen haben, der auffällig ist. Doch wenn sich ein Mensch nicht organisieren und integrieren kann, heißt das nicht, daß er aussätzig ist!

STACHEL: Gab es eine frühe Alternative zur jetzigen Drogenpolitik der Stadt, war die Entwicklung der Szene vorhersehbar?

Prof. Meyenberg: Die Entwicklung hin zu mehr Hartdrogenabhängigen war erkennbar. Die Stadt hat zu spät reagiert, sie hätte stärker konzeptionell reagieren müssen. Sie hätte Konzepte entwickeln müssen zu den Fragen: Was geschieht mit den Drogenabhängigen am Wochenende? Wo setzen sie ihren "Schuß"? Wie sehen Hilfe und Vorbeugung aus? Drogenpolitik muß immer aus einem Drei- Schritt bestehen: vorbeugen - helfen - repressiv eingreifen. Die zu starke Betonung des Repressiven, wie sie momentan stattfindet, wird das Problem verschärfen. Die Drogenabhängigen weichen an andere Orte aus, z.B. in den Schloßpark. Dort liegen dann offen ihre Spritzen herum. Sie brauchen aber einen Treffpunkt und Aufenthaltsräume!

STACHEL: Eine andere Drogenpolitik der Stadt ist sofort notwendig. Werden die Ergebnisse Ihrer Untersuchung nicht zu spät vorliegen?

Prof. Meyenberg: Ja, das ist richtig, angesichts der aktuellen Erfordernisse kommen sie zu spät. Aber es ist nie zu spät, das Richtige zu tun. Die ersten Grundzüge eines Konzeptes werden in der zweiten Hälfte dieses Jahres vorliegen.

STACHEL: Hat es bereits Gespräche zwischen Ihnen und der Stadt gegeben?

Prof. Meyenberg: Die Stadt hat mit uns nie über ihre Drogenpolitik gesprochen.

(STACHEL: Verwunderung!!!)

Arbeitskreis Drogenszene Innenstadt

Prof. Meyenberg: Die einzigen Gespräche über die Drogenpolitik der Stadt hat es im Arbeitskreis "Offene Drogenszene Rathausmarkt" gegeben. Als Anfang 1992 der Hartdrogenhandel auf dem Marktplatz öffentlich sichtbar zunahm und die Szene immer mehr anwuchs, wurde bei den zunächst unmittelbar betroffenen MarktanliegerInnen der Ruf nach einer schnellen und endgültigen Lösung des Problems laut. In dieser Situation bildete sich auf Initiative der MarktplatzanrainerInnen ein Gesprächskreis zur Erörterung der Problematik. Man stellte jedoch sehr bald fest, daß die angestrebte schnelle Lösung nicht existiert.

Im Gesprächskreis sitzen neben Fachleuten NichtexpertInnen an einem Tisch, ebenso wie VertreterInnen aus dem eher repressiven Sektor neben vorwiegend präventiv arbeitenden KollegInnen; die Stadt ist durch Frau Niggemann vertreten. Es ist erreicht worden, daß den Sicherheitsbedürfnissen der MarktplatzanliegerInnen weitgehend Rechnung getragen werden konnte. Andererseits wurden auch konkrete Maßnahmen entwickelt, wie den Betroffenen geholfen werden kann. Sie umfassen die

- Erweiterung der Straßensozialarbeit,

- Verkürzung der Wartezeiten,

- Erweiterung des Betreuungs- und Beratungsangebots durch Selbsthilfe und professionelle Hilfe.

Gab es früher nur einen Arzt, der bereit war, an der Substitution von Hartdrogen teilzunehmen, so sind es heute sechs bis acht. Leider ist immer noch keine Ärztin dabei. Die brauchen wir dringend!

Der Arbeitskreis hat entschieden, seine Aktivitäten nicht nur auf den Rathausmarkt zu beschränken, sondern auf die ganze Stadt auszuweiten. Es geht den Mitgliedern in erster Linie darum,

- in der Öffentlichkeit ein Bewußtsein für die sichtbar gewordene Abhängigkeitsproblem atik zu schaffen; die Menschen sollen HIN- und nicht wegsehen!

- eine Redebereitschaft zwischen AnliegerInnen und Szene herzustellen und darüber gegenseitige Vorurteile abzubauen und BEIDE Interessenseiten verstehen und akzeptieren zu lernen,

- eine Stigmatisierung der Szeneangehörigen zu verhindern bzw. abzubauen,

- aufzuzeigen, daß das Drogenproblem keine Sommererscheinung, sondern ein dauerhaftes ernstzunehmendes Problem ist.

Vor diesem Hintergrund wird versucht, gesellschaftlich relevante Kräfte anzusprechen und zu mobilisieren.

STACHEL: Ich danke für das Gespräch.

(J. Sohns sprach mit Professor Dr. Meyenberg.)


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