Oldenburger STACHEL Ausgabe 5/98      Seite 13
 
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Esterwegen

Vor 56 Jahren habe ich. im Lager Esterwegen zum 1. Mal verstorbene Mitgefangene in die LKW-Garage im Vorderlager tragen müssen. Als einzige Bekleidung war über sie ein Bettlaken an den Fassen und Händen verknotet gespannt. Auf der Stirn klebte ein Pflaster mit der Gefangenennummer.

In den folgenden 3 Jahren habe ich diesen Weg noch oft gehen müssen. Die brutalen Mißhandlungen, die ständigen Demütigungen, der grausame Hunger hatten den Tod zur Folge.

Es waren alles junge Menschen, die meisten erst in den zwanziger Jahren. Viele hatten sich freiwillig zum sogenannten Wehrdienst gemeldet. Die ständigen Beleidigungen durch Vorgesetzte. für die es keine Beschwerdemöglichkeit gab. die Erkenntnis, daß grausame Taten gegen wehrlose Menschen begangen und befohlen wurden, veranlaßten sie, sich von ihrer Truppe zu entfernen. Andere verweigerten die Ausführung von menschenunwürdigen Befehlen. Für sie alle gab es kein Entrinnen, sie wurden zum Tode oder zu vielen Jahren Zuchthaus nach dem Kriege abzusitzen verurteilt. Es waren unter uns auch Gefangene, die kleine Vergehen begangen hatten. dafür aber zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt waren. Wegen Befehlswidersetzung und anschließender sogenannter Fahnenflucht war ich als 19 jähriger in Nordnorwegen zum Tode verurteilt worden. 5 Monate wartete ich täglich auf die Vollstreckung, dann wurde ich zu 15 Jahren Zuchthaus, nach dem Kriege abzusitzen, begnadigt und in das Lager Esterwegen überführt. Gleich nach meiner Einlieferung wurde ich mir darüber klar, daß ich hier wohl nicht lebend heraus käme. Es ist ein Wunder daß ich es doch geschafft habe. Erst im Lager Esterwegen ist mir deutlich geworden, was die politischen Gefangenen von 1933 bis 1939 erdulden mußten. Immer noch quälen mich die Gedanken, wie es möglich war, daß es so viele Mitmenschen gab, die bereit waren, und scheinbar mit Freuden, auf Befehl eines Diktators. wie Hitler und seinen Helfern andere bestialisch zu quälen und zu töten. Immer noch bin ich traurig darüber. daß es so viele Menschen hier gegeben hat und noch gibt, die von all den schlimmen Begebenheiten nichts gewußt haben wollen, obgleich die Moorsoldaten täglich in jämmerlicher Bekleidung und unübersehbar verhungertem Anblick auf den Straßen zur Urbarmachung ihrer Ländereien marschieren und unter der Knute der Bewacher und Kneiste, die aus der Bevölkerung stammten, arbeiten mußten. Wenigstens ein - wenn auch spätes - Bekennen, nicht aber weiteres Verleumden würde den hier und auf vielen anderen Gedenkstätten Ruhenden und auch uns wenigen Überlebenden gerecht werden. Gebt unseren Toten die verdiente Ruhe.

Ist es nicht erschreckend, wenn wir feststellen müssen, daß zunehmend neue Brandherde des Neo-Faschismus entstehen? Daß die Gewalt und Zerstörung zunimmt? Nicht nur - wir Deutschen, sondern ganz Europa muß wachsamer werden, wenn uns die Nazi-Geschichte nicht einholen soll. Erinnern wir uns, in welch kurzer Zeit Hitler, Mussolini, Quisling und andere mit ihren Schergen den Frieden und die Freiheit in Europa zerstört haben. Jeder faschistische Brandherd. wo immer er entsteht. muß gemeinsam, umgehend bekämpft werden, damit er sich nicht ausbreiten kann. Gewalt und Zerstörung, das bezeugt die Geschichte, hat die Ärmsten immer noch ärmer und wehrloser gemacht. Liebe hier anwesenden jungen Freunde, bewahrt Eure freiheitlichen und friedlichen Rechte, die seit 1945 wieder entstanden sind. In meiner Jugendzeit - unter dem Nazi-Regime - durften wir keine Kontakte zur Jugend anderer Länder haben. Radio, Bücher und Zeitungen standen unter Staatskontrolle. Wir durften keine Musik aus dem sogenannten Ausland hören. Wir durften nicht in andere Länder reisen. Wir mußten Befehlen und Zurechtweisungen von Gleichaltrigen, sogenannten Führern gehorchen. ohne die Möglichkeit einer Gegenwehr zu haben.

Kämpft nicht mit Gewalt, kämpft mit Überzeugungskraft - Gewalt zerstört. Veranlaßt andere Junge Leute zum Denken, damit sie nicht wieder auf faschistische Lügen hereinfallen. Wer sich an den neu entstandenen Brandherden beteiligt, kann sich nie die Mühe gemacht haben, über die schreckliche Vergangenheit nachzudenken.

Gedenken wir alle unserer so grausam ums Leben gekommenen Toten und tragen wir unseren Teil dazu bei, daß sie nicht vergebens für uns gestorben sind.


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