Oldenburger STACHEL Ausgabe 9/98      Seite 3
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Zukunfts-Szenario an der Ems

Umweltverbände beklagen die Baugenehmigung für das Emssperrwerk

Niemand weiß, ob und in welchem Umfang weltweite Klimaveränderungen den Meeresspiegel ansteigen lassen. Aber eines steht außer Frage: Wenn die Temperaturen und damit der Meeresspiegel ansteigen, wenn Niederschlagsmuster und Windverteilung sich ändern, sind Flußmündungsbereiche besonders anfällig für mögliche Auswirkungen. Nicht nur Sturmfluten, auch Niederschlagsereignisse im Binnenland und daraus resultierende Hochfluten, wie 1997 an der Oder und in diesem Jahr in China, werden die Deiche auf eine harte Probe stellen.

Und noch eines ist klar: Man darf nicht warten, bis es passiert. Die Niederländer haben bereits fertige Pläne, die sie im klimabedingten Katastrophenfall aus der Schublade ziehen können - für ein Land, das zu zwei Dritteln im Meer versinken könnte, sollte der Fall denn eintreten, eine Frage des Überlebens.

Und was tut sich hierzulande? Zunächst einmal wird geforscht. Zweieinhalb Millionen Mark läßt sich der Bund beispielsweise ein Forschungsprojekt kosten, welches die Auswirkungen des möglichen Meeresspiegelanstiegs auf die Unterweser-Region abschätzen soll. Und auf den jährlichen Fachtagungen beraten Geowissenschaftler und Ingenieure über Fragen der Deichsicherheit, Hochwasser- und Küstenschutzmaßnahmen.

Und was tut die Politik? Zunächst einmal baut sie ein Sperrwerk an der Unterems, ein Jahrhundertbauwerk, Kostenpunkt: Geschätzte 353 Millionen Mark, vielleicht auch mehr.

Da lassen sich die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen den Küstenschutz einiges kosten. Und wie bereits gesagt: Flußmündungen sind durch die drohende Klimaveränderung besonders gefährdet. Das Geld ist also richtig angelegt, meint zumindest die Landesregierung, die das Projekt energisch vorangetrieben und gegen allen Widerstand der Umweltverbände auch durchgesetzt hat.

Ein Bollwerk für den Küstenschutz

Das Emssperrwerk soll nach Angaben der Bezirksregierung in Oldenburg in erster Linie dem Schutz der Unterems und ihrer Nebenflüsse vor Sturmfluten dienen, die höher als 3,70 Meter über Normalnull auflaufen. In der Begründung zu dem Vorhaben heißt es, die Sturmflut vom Januar 1994 habe im Raum Papenburg zu Wasserständen der Ems geführt, wie sie in dieser Höhe bislang noch nicht aufgetreten seien. Ein Sturmflutsperrwerk sei deshalb eine auf zukünftige Sturmflutereignisse ausgerichtete Maßnahme des Staates im Rahmen der Daseinsvorsorge.

Aktuell nicht erforderlich?

Doch diese großzügige Fürsorge des Staates ist offenbar einigen Kritikern noch nicht einsichtig geworden. Die ignoranten Bemerkungen der Kriti-ker, wozu dem Vernehmen nach auch erfahrene Wasserbauingenieure und Deichverbandsvorsteher zählen sollen, gipfelten in der Äußerung, das Bauvorhaben sei für Zwecke des Küstenschutzes aktuell nicht erforderlich. Es sei bestenfalls als ein mögliches Zukunfts-Szenario für das Jahr 2095 zu werten.

Abgesehen davon, daß diese Kritiker den Beweis dafür schuldig bleiben, daß das Jahrhunderbauwerk an der Ems nicht schon eher gebraucht werden könnte, beispielsweise im Jahr 2001, dem voraussichtlichen Jahr der Fertigstellung, müssen sie sich auch fragen lassen, was denn bitteschön so schlimm daran sein soll, daß das Sperrwerk schon etwas früher einsatzbereit ist. Wir leben schließlich in einer Welt voller Gefahren.

Und schließlich gibt es auch schon ein Vorbild, welches bei der Konzeption des Emssperrwerks Pate gestanden hat: Es steht an der Themse und schützt die Stadt London vor Sturmflutgefahr.

Die halbe Wahrheit

Nun ist aber vorausschauendes, auf die Zukunft gerichtetes Handeln nicht gerade ein Markenzeichen der Politik unserer Tage -leider, muß man wohl sagen - und so verwundert es auch nicht weiter, daß die obigen, von der Landesregierung stets mit treuherzigem Augenaufschlag ins Feld geführten Begündungen für das Emssperrwerk nur die eine Hälfte der Wahrheit enthalten. Allerdings - und nur das sollten die bisherigen Ausführungen aufzeigen - entbehren sie auch nicht jeder vernünftigen Grundlage. Immerhin hat auch die Europäische Kommission die offizielle Begründung für das Emssperrwerk akzeptiert und damit die Hoffnungen der zahlreichen Beschwerdeführer - darunter auch etliche Naturschutzorganisationen aus den Niederlanden - zunichte gemacht, dieses Bauprojekt mit dem Hinweis auf den Artikel 92 des EU-Vertrages stoppen zu können.

Verstoß gegen europäisches Recht ?

Die niederländischen Naturschützer sahen die vornehmliche Aufgabe des Emssperrwerkes darin, der Papenburger Meyer-Werft den Bau von Schiffen weiterhin zu ermöglichen, die für die Ems eigentlich schon lange zu groß geworden sind. In der Klausel des EU-Vertrages, "daß Unterstützungsmaßnahmen von Staaten, die die Konkurrenz durch Begünstigung bestimmter Unternehmen verfälschen, mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar sind, insofern diese Unterstützung den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten ungünstig beeinflußt", meinten die Kritiker einen Beleg dafür in Händen zu halten, daß die Finanzierung des Sperrwerks durch Bund und Land einen Verstoß gegen das EU-Wettbewerbsrecht darstellt.

Doch auch wenn diese Trumpfkarte nicht gezogen hat, kleinbeigeben wollen die Umweltverbände nicht. Nach dem jahrelangen Tauziehen um die Emsvertiefung - immer ein bißchen mehr, aber gereicht hat es für die "dicken Potte" der Meyer-Werft letzlich doch nicht - ist es nur konsequent, daß die Umweltverbände jetzt auch die geplante "Endlösung" des alten Problems mit allen Mitteln bekämpfen, also auch gerichtlich.

Umweltverbände klagen

Als die Bezirksregierung in der letzten Augustwoche den Abschluß des Genehmigungsverfahrens für das Sperrwerk und gleichzeitig den geplanten Baubeginn am 17. September bekanntgab, ließ die Antwort der Umweltschützer nicht lange auf sich warten. Der Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e.V. (LBU), ein anerkannter Naturschutzverband, erklärte seine Absicht, Klage beim Verwaltungsgericht Oldenburg einzureichen. Mit einem Eilantrag sollte außerdem die sofortige Vollziehung der Baugenehmigung verhindert werden, welche die Bezirksregierung angeordnet hatte. Der LBU geht davon aus, daß der Baubeginn auf jeden Fall bis zur Entscheidung des Verwaltungsrichters über den Eilantrag verschoben wird. Dies sei die übliche Verfahrensweise zwischen Parteien eines gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens, verlautete dazu aus der LBU-Geschäftsstelle in Hannover. Damit wird ein tatsächlicher Baubeginn noch vor der Bundestagswahl, wie in der ursprünglichen Planung vorgesehen, immer unwahrscheinlicher.

Klagen werden außerdem die Umweltverbände BUND und NABU, sowie die örtliche Bürgerinitiative Gandersum. Die Gegner des Emssperrwerks finden es verwunderlich, daß in der Genehmigung der Bezirksregierung ein Betriebsplan für das Sperrwerk fehlt. "Bis heute ist nicht klar, ob das Sperrwerk funktioniert oder nicht", bemängeln sie in einer gemeinsamen Erklärung. Vergeblich suche man auch nach genauen Angaben über das Wassermanagement. "Bei dreißig Millionen Kubikmeter, die da aufgestaut werden sollen, ist das mehr als verwunderlich."

Der LBU geht sogar so weit, die Zuständigkeit der Bezirksregierung für das Verfahren gleich ganz anzuzweifeln. Nach seiner Auffassung handelt es sich bei dem Sperrwerk nicht um ein Vorhaben zum Küstenschutz, sondern um den Ausbau einer Bundeswasserstraße. Dafür ist aber der Bund zuständig und nicht das Land Niedersachsen.

Wie auch immer der juristische Streit um Land und Wasser ausgeht, eines ist jetzt schon klar: Der Liefertermin für das nächste Schiff von der Meyer -Werft steht im Frühjahr 2001 an, und da wird die Werft wohl noch ohne das Sperrwerk zurechtkommen müssen.

tog

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum