Oldenburger STACHEL Ausgabe 10/98      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Armut von Kindern "vom Tisch gefegt"

Laut Bundesregierung gibt es in der Bundesrepublik keine Armut, da kein Kind hungert.

Armutsbegriff im 10. Kinder- und Jugendbericht

In dem im September 98 erschienen 10. Kinder- und Jugendbericht stellt die von der Bundesregierung beauftragte Expertenkommission in dem Kapitel "Kinderkosten und Kinderarmut" fest, daß 1992 21,9 % der Kinder und Jugendlichen unter 16 Jahren in den neuen Bundesländern und 11,8 % in den alten Bundesländern von Armut betroffen waren. (Bericht S. 90) Nach Expertenmeinung sind Kinder zu einem absoluten Verarmungsrisiko geworden, wie der hohe Anteil von Alleinerziehenden, kinderreichen und ausländischen Familien in der Armutsstatistik zeigt.

Dies hat Folgen, denn "je nach dem Platz, an dem Kinder in diesem System gesellschaftlicher Ungleichheit ihr Leben beginnen, erhalten sie Zugang zu den Gütern, die zu einem guten Leben beitragen, oder sie sind ihnen nur schwer erreichbar." (Bericht S. 85)

Als arm gilt nach anerkannter wissenschaftlicher Definition, wer nur über 50 % des Durchschnitteinkommens und weniger verfügt, d.h., daß auch SozialhilfebezieherInnen und zunehmend Familien/ Frauen mit niedrigem Erwerbseinkommen zu den Betroffenen zählen. Eine Tatsachen, die in einer Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Kinder- und Jugendbericht geleugnet und die von der Familienministerin Claudia Nolte öffentlich als "herbeigeredet" bezeichnet wird.

Die Gleichsetzung von Armut und Sozialhilfebezug ist nicht akzeptabel. Sozialhilfe sichert nicht nur ein Existenzminimum ab, das das Überleben garantiert. Sie gewährleistet darüber hinaus in der Regel die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben." (Stellungnahme der Bundesregierung S. XV)

Damit ist das Problem der armen Kinder "vom Tisch", denn nur wer hungert, ist wirklich arm. So einfach ist das, oder?!

Wie sieht die Ernährungssituation von Kindern im Sozialhilfebezug aus?

Immer häufiger wird aus Kindergärten und Schulen berichtet, daß Kinder hungrig in die Einrichtungen kommen, daß Kinder aus Kostengründen vom Mittagessen abgemeldet werden. Auch entstehen in immer mehr Städten sogenannte "Tafeln", die mit den übriggelassenen Lebensmitteln aus Geschäften und Restaurants Mittagstische für Arme einrichten. In Oldenburg-Kreyenbrück wird an einer Schule inzwischen aufgrund der nicht gewährleisteten Grundernährung etlicher Schulkinder ein kostenloses Pausenfrühstück mit Hilfe der Oldenburger Tafel angeboten.

Dieses dürfte es laut Bundesregierung nicht geben, da Sozialhilfe ja weit mehr sichern soll als nur die Grundversorgung. Eine Feststellung, die einmal an dem gültigen Sozialhilfesatz für Ernährung genauer überprüft werden soll.

Der Sozialhilferegelsatz beträgt zum Beispiel in Niedersachsen für ein Kind unter 7 Jahren monatlich 270,- DM, davon entfallen 50 % , d.h. 135,- DM monatlich, auf den gesamten Bereich "Ernährung". Das entspricht einem Tagessatz von 4,44 DM!

An dieser Stelle kann jeder eigene Rechenbeispiele anstellen, wie mit 4,44 DM pro Tag für ein Kind unter 7 Jahren mindestens 3 ausreichende Mahlzeiten mit Getränken und zusätzliches Kindergartenbrot zubereitet werden sollen. Untersuchungen bestätigen, daß die Ernährung gegen Ende des Monats bei SozialhilfebezieherInnen immer schlechter wird, wie z.B. in dem Zitat einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern deutlich wird: "Auf jeden Fall bleibt am Ende des Geldes noch Monat über." (R: Roth: "Über den Monat am Ende des Geldes", Frankfurt 1992) Von dieser Lebenssituation ist auch ein großer Teil der Oldenburger Kinderbevölkerung betroffen, denn hier muss jedes 5. Kind unter 10 Jahren von Sozialhilfe leben!

Mittagsverpflegung in Kindergärten: Zuschuß für Eltern mit niedrigem Einkommen erstritten

In vielen Kommunen werden bisher zwar die Kosten für die Kindergartenbeiträge nicht aber die Kosten für die Mittagsverpflegung in den Kindergärten für Familien mit niedrigem Einkommen übernommen, so daß die Essensgeldkosten von den Eltern selbst bezahlt werden mußten. (Das dieses schier unmöglich ist, belegen folgende Zahlen: Zum Teil betragen die Kosten z.B. in Oldenburg für die Mittagsverpflegung in Kindergärten 100,- DM im Monat, im Sozialhilferegelsatz für Kinder sind aber nur 135,- DM monatlich für Ernährung gesamt vorgesehen!)

Diese Regelung ist aber rechtlich nicht mehr haltbar, wie aus einer neuen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg hervorgeht (Beschluß vom 11.6.98 - AZ: 12 L 2301/98) Danach gehört die Mittagsverpflegung in Kindergärten grundsätzlich zur Betreuung im Sinne des § 22 SGB VIII. Die Kosten des Mittagessens für Kinder von SozialhilfebezieherInnen und für Kinder von Eltern, die ein vergleichbar niedriges Einkommen haben, sind nach Meinung des Gerichts immer als Bestandteil des Kindergartenbeitrags anzusehen und damit übernahmefähig aus Mitteln der Jugendhilfe, wobei allerdings aufgrund der häuslichen Ersparnis nicht der gesamt Betrag übernommen werden muß.

In Oldenburg werden seit 97 die Kosten für das Mittagessen in Kindergärten vom Jugendamt im Rahmen der freiwilligen Jugendhilfe nur für Kinder von SozialhilfebezieherInnen bezuschußt (Eigenanteil der Eltern: max. 40,- DM pro Monat).Dieser Zuschuß steht nun auch anderen Eltern mit einem vergleichbar niedrigem Einkommen zu!

Mangelhafte Ausstattung mit Schulmaterialien: Bundesverwaltungsgericht räumt zusätzlichen Bedarf von Schulkindern ein

Benachteiligung und Ausgrenzung von Kindern, die von Sozialhilfe leben, hört aber nicht bei der Ernährung auf.

Auch die ausreichende Ausstattung von Schulkindern im Sozialhilfebezug mit Schulmaterialien für den laufenden Gebrauch mußte erst höchstgerichtlich erstritten werden. Zwar gibt es bereits den Anspruch auf einmalige Beihilfen vom Sozialamt für besondere Lernmittel (Schulbücher, Atlanten etc.) aber für den wiederkehrenden Bedarf in Form von Schulheften, Patronen, Radiergummi, Stiften, Schreibblöcken, Kopier- und Bastelkosten gab es keine zusätzlichen Geldmittel im Rahmen der Sozialhilfe. Das Bundesverwaltungsgericht stellte nun klar (BVerwG, Urteil vom 29.10.1997 - 5 C 34.95), daß im Sozialhilferegelsatz des Kindes nicht der wiederkehrende Bedarf an Schulamterial enthalten ist. Die Sozialämter haben folglich zusätzliche Beihilfen zu gewähren. In Oldenburg erwarten wir eine zügige Umsetzung des Urteils. Denn: Mit knurrendem Magen und fehlenden Heften läßt sich schlecht lernen!

Erst Gerichte (und auf die ist bekanntermaßen nicht immer Verlaß) mußten in den vorliegenden Beispielen dafür sorgen, daß Kindern zu einem Grundrecht, nämlich zu einer ausreichenden Versorgung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verholfen wird.

Der Allgemeinheit sollte jedes Kind gleich viel wert sein" fordert die Expertenkommission in ihrem Bericht (Bericht S. 88). Diesen Leitsatz sollten sowohl die Familienministerin als auch alle politisch Verantwortlichen kennen und danach handeln.

Bärbel Stuke und Beate Pyde

Weitere Informationen:

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ALSO e.V., Kaiserstr. 19, 26122 Oldenburg, Tel. 16313

 

 
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