Oldenburger STACHEL Ausgabe 11/98      Seite 16
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Dalai Lama fordert ein Jahrhundert des Dialog

Es war ein Montagnachmittag, als der Dalai Lama im Alten Rathaus am Oldenburger Markt eintraf, um sich im Goldenen Buch der Stadt Oldenburg zu verewigen. Während der Konvoi von großen Limousinen noch mit schwierigen Rangiermanövern in den engen Gassen der autoentwöhnten Oldenburger Altstadt beschäftigt war, befand sich "Seine Heiligkeit" schon zum vertraulichen Gespräch mit Oberbürgermeister Poeschel und der ersten Garde der Stadtverwaltung im Rathaus. Oben im Ratssaal warteten unterdessen die zahlreich erschienenen Pressevertreter auf den Beginn des offiziellen Empfangs.

Als dann der Dalai Lama mit seiner Delegation erschien, richteten sich sofort alle Objektive auf ihn, der dieses Medieninteresse mit dem bekannten freundlichen Lächeln und der gebotenen buddhistischen Gelassenheit aufnahm. Oberbürgermeister Poeschel, angetan mit der Kette als Zeichen seiner Amtswürde trat ans Rednerpult, um den weitgereisten Gast in aller Form willkommen zu heißen. Er würdigte die Verdienste des Friedensnobelpreisträger und nutzte die Gelegenheit, auf einen anderen Friedensnobelpreisträger hinzuweisen, der sich schon vor längeren Jahren in das Goldene Buch der Stadt eingetragen hatte: Willy Brand.

Die Grußbotschaft des Dalai Lama an die Oldenburger enthielt als Kernaussage den Satz: "Die Ursache für Glück und Zufriedenheit liegt in uns selbst; nicht äußere Dinge, nicht das Geld entscheiden darüber, ob wir Glück und Zufriedenheit erlangen." Diese Botschaft mag für die Vertreter einer finanziell nicht gerade auf Rosen gebetteten Stadt etwas Tröstliches beinhalten. Aus der unbewegten Miene von Stadtkämmerer Eckard Otter ließ sich dies zwar so nicht entnehmen, aber vermutlich hat er seinen Seelenfrieden auch schon gefunden, den baldigen Ruhestand schon im Blick, und damit die Erlösung von allem Leiden.

Der Empfang beinhaltete auch den Austausch von Geschenken, und der Oberbürgermeister war sich der Schwierigkeit seiner Aufgabe wohl bewußt, als er die Geschenkübergabe mit den Worten einleitete, es sei bekannt, daß der Dalai Lama das Leben eines einfachen Mönches führe, "und was soll man einem Mönch schenken?" Und so habe man sich erinnert, daß "Seine Heiligkeit" eine Vorliebe für Uhren habe und man habe da noch ein Einzelstück von der 650-Jahr-Feier zurückbehalten, das letzte Exemplar einer limitierten Serie von Armbanduhren, welches ihm nun in der Hoffnung überreicht würde, daß er – sollte die Uhr denn eines Tages zu ticken aufhören – auch noch Freude an der eigenhändigen Reparatur dieses Geschenkes haben möge. Das zweite Geschenk, ein handkolorierter Stadtplan Oldenburgs aus dem 17. Jahrhundert solle dem Gast die lange Geschichte sowohl der Dalai Lamas auf der einen, als auch der Stadt Oldenburg auf der anderen Seite in Erinnerung rufen.

Der Dalai Lama nahm die Geschenke mir einem freundlichen Lächeln an. Er habe selbst als Gegengeschenk nur einige unbedeutende Kleinigkeiten anzubieten, eine Autobiographie und einen weißen Schal aus seinem Land Tibet, der in Zukunft – so vermuten wir – den Hals unseres Oberbürgermeisters bei den langen Sitzungen im schlecht klimatisierten Sitzungssaal schmücken wird.

Nachzutragen bleiben noch einige Äußerungen des Dalai Lama in seiner Antwort auf die Begrüßungsansprache des Oberbürgermeisters: Nach einigen Sätzen des Dankes auf Tibetisch wechselte er ins Englische und kam als Erstes auf das Thema Umweltschutz zu sprechen. Er habe beim Gespräch erfahren, daß die Stadt Oldenburg schon einige Aktivitäten in dieser Richtung unternommen habe, und er finde das lobenswert. Als er noch in Tibet gelebt habe, sei Umweltschutz noch kein Thema gewesen, aber angesichts der fortschreitenden globalen Zerstörung der Umwelt – auch in seinem Land – sei er zu einer vordringlichen Aufgabe geworden.

Ein schönes Beispiel seiner auf Ausgleich bedachten Einstellung lieferte "Seine Heiligkeit" mit der folgenden Selbsteinschätzung: "I am not the best Dalai Lama – and not the worst Dalai Lama – I am okay-Dalai Lama."

Auch bei seinem öffentlichen Auftritt am Dienstagnachmittag in der ausverkauften Weser-Ems-Halle vor fünfeinhalbtausend Zuhörern übte sich das buddhistische Oberhaupt in Bescheidenheit. "Frieden und soziale Gerechtigkeit im nächsten Jahrhundert" lautete das Thema seines Vortrags. "Viele von Ihnen sind heute mit einigen Erwartungen hierher gekommen, doch ich habe Ihnen nichts anzubieten. Sie sollten wissen, ich bin nur ein Mensch und nichts weiter, nichts Besonderes." Nach dieser anfänglichen Klarstellung und der anschließenden Erklärung, daß grundsätzlich alle Menschen gleich sind, begann er mit einer Betrachtung über das Leben an sich. Ein bequemes Leben sei es, was alle Menschen sich wünschen, und daran sei an sich auch nichts Schlechtes. Aber um an tieferliegende Erfahrungen zu gelangen sei ein schwieriges Leben oft ein besserer Zugang, besonders für die Erfahrung der eigenen Stärke, die im Innern jedes Menschen liegt. Das bequeme Leben sei manchmal von verderblichem Einfluß auf diese Stärke.

Die Ursache für eine friedvolle Gesinnung sei hauptsächlich in jedem Menschen angelegt.

Über den Frieden ging es anschließend im Kernstück der Ausführungen der Dalai Lama.

Innerer und äußerer Friede müssen sich gegenseitig bedingen, war seine Kernaussage. Äußerer Friede beinhalte mehr als die bloße Abwesenheit von Gewalt. Dieser Zustand könne auch durch Abschreckung (also Furcht) erreicht werden, sei aber dann kein echter Friede. Wahrer Friede beruhe auf inneren Werten wie Respekt, Vertrauen, Liebe.

Der Weg zum Frieden sei ein schrittweiser Prozeß, der über die Reduzierung von Waffen langfristig zum völligen Verzicht auf das Militär führen müsse. Ein erster Schritt sei die Abschaffung von Atomwaffen bzw. deren weltweite Ächtung. Atomwaffenbesitz als Privileg einiger Staaten zu betrachten, sei im Grunde undemokratisch. Die Atomtests, die Indien kürzlich durchgeführt habe, hätten das Augenmerk auf diese Problem gelenkt, und obwohl an sich ein trauriger Anlaß könnten sie auch als Chance erkannt werden, das Ziel der weltweiten Ächtung der Atomwaffen jetzt verstärkt anzustreben.

Auch der Handel mit Waffen sei moralisch nicht zu rechtfertigen, da einzelne Länder daran verdienten, während andere, ärmere Länder häufig ihr gesamtes Staatsbudget für Waffenkäufe aufwenden und dadurch noch tiefer in Armut versinken würden.

Ein positives Beispiel, welches er kürzlich kennengelernt habe, sei das Land Costa Rica. Costa Rica verfüge über ein vergleichsweise gut entwickeltes Wirtschaftsleben und Bildungswesen, es habe auf der anderen Seite keine Armee, nur eine kleine Polizeitruppe als Ordnungsmacht. Dadurch könne das Land sein Geld für konstruktivere Maßnahmen verwenden.

Im zweiten Teil seines Vortrages beschäftigte sich der Dalai Lama mit Lösungsansätzen. Das nächste Jahrhundert müsse ein Jahrhundert des Dialogs werden. Der äußeren Abrüstung müsse zunächst eine innere Abrüstung vorangehen, um unser Aggressionspotential zu verringern. Friedensfähigkeit könne durch die Vermehrung des in jedem Menschen vorhandenen Potentials an Mitgefühl erlangt werden. Um eine gewaltlosere Gesellschaft zu erreichen, sei es notwendig, die Ursachen der Gewaltlosigkei t, die inneren Werte zu stärken. Widersprüche, die in jedem Menschen vorhanden seien, könnten ausgeglichen werden und dann sogarförderlich sein. Als wichtigste Voraussetzung hob das Oberhaupt der Tibeter die Fähigkeit zum Kompromiß und zum Dialog hervor. Kompromiß- und Dialogfähigkeit müßten bereits in die Erziehung der Kinder eingebracht werden.

In seinem Fazit sagte der Dalai Lama, die Erfahrung habe gezeigt, daß es möglich sei, die eigene geistige Haltung zu ändern. Besonders das egozentrierte Denken, die alleinige Beschäftigung mit den eigenen Problemen müsse überwunden werden. Wer seinen Gesichtskreis erweitere und auch die anderen Menschen einbeziehe, werde seine eigenen Probleme bald als klein und unbedeutend wahrnehmen.

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