Oldenburger STACHEL Ausgabe 11/98      Seite 6
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Warum der Atomteil des Koalitionsvertrages gut ist.

Nun sitze ich hier und soll Euch Lesern erläutern, warum der Vertragsteil Atomausstieg so gut ist, wie er ist und zumindest warum er nicht besser werden konnte. Ich bin also in der Lage eines Anwalts, der das Handeln seines Mandaten, insbesondere des grünen Teils der Koalition, vorbehaltlos als gut gegenüber dem Richter, der Öffentlichkeit, darstellen muß. Ich bin der Gegenpart zum Staatsanwalt, hier besetzt die Rolle Hans-Otto vom AK-Wesermarsch, der uns das Verhalten des von ihm Angeklagten als verurteilenswert vorstellen muß. Ich nehme diese Rolle an und werde damit auch das positive der Teile, die mir ebenfalls als kritisch erscheinen, rein so nachzeichnen. Ich werde nicht auf mir bekannte Details der Verhandlungen eingehen, da mir diese als Anwalt nicht bekannt wären, sondern zum Nutzen der Leserschaft eine klares Pro dem Contra von Hans-Otto gegenüberstellen.

Und damit komme ich zum ersten Punkt in meinem Plädoyer. Noch niemals hat eine Regierung den "Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie" als ein Ziel ihres Regierungshandelns definiert. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Das wird auch gleich mit dem Zeitrahmen der Legislaturperiode, also die nächsten vier Jahre, verbunden. Wir erinnern uns, daß in anderen Ländern der Ausstieg nicht Regierungsprogramm ist, sondern noch umzusetzender Wille von Volksabstimmungen. Gleich im ersten Satz geht die neue Regierung sogar noch ein Schritt weiter und setzt ein Ziel der Unumkehrbarkeit, also über die eigene hinaus. Dieser Zeitplan und diese Zukunftssicht werden im folgenden mit einzelnen Schritten untermauert. Es wird ein Soforthandeln der Regierung und ein möglichst konsensuales Wirken gegenüber der Industrie, aber auch mit ihr, zum eigentlichen Abschalten festgelegt.

Das Soforthandeln in sechs Einzelpunkten

So ist die "Streichung des Förderzwecks im Atomgesetzes" eine wesentliche Voraussetzung, um die Betreiber vor Gericht in der Defensive zu haben. Bisher konnten sie alle beklagten oder erklagten Handlungen als dem Gesetz folgeleistende Firmen in Gerichtsverfahren einbringen auch durchsetzen. In Zukunft werden sie allenfalls auf ein Bestandsrecht pochen können, denn der Zukunft der Atomenergie ist der gesetzliche Segen nun versagt. So führt die "Einführung einer Verpflichtung zur Sicherheitsüberprüfung, vorzulegen binnen eines Jahres" zu einem Automatismus, der die systemimmanenten Sicherheitsfehler aufdeckt. Zusammen mit dem vorgenannten Punkt, der auch das Verhalten der bisher atomgeneigten Gutachter ändern wird, kann es zum Abschalten oder zum sehr teuren Nachbessern einzelner Anlagen führen Die "Klarstellung der Beweislastregelung bei begründetem Gefahrenverdacht" gibt den Schwarzen Peter von den Kritikern zu den Betreibern. Die Einschränkung auf einen "begründetem Gefahrenverdacht" ist dabei notwendig, um im konkreten Fall auch eine Stillegung bis zur Klärung veranlassen zu können. So ist die Beweislast bei den Leukemiefällen in der Elbmarsch am AKW Krümmel derzeit bei der rotgrünen Landesregierung in Kiel. In Zukunft läge sie bei den Betreibern und ein Abschalten der Anlage bis zur Erbringung des Gegenbeweises könnte auch vor Gericht bestand haben. Schließlich kommt mit der "Beschränkung der Entsorgung auf die direkte Endlagerung" das Entsorgungsschlupfloch ins Visier der staatlichen AKW-Gegner.

Zusammen mit der "Aufhebung der Atomgesetz-Novelle von 1998" ist damit der einfache Entsorgungsnachweis durch unverantwortliches Verschieben von Atommüll ins Ausland endlich vom Tisch. Die französischen und englischen Atommüllverarbeitungsanalgen, die kastatrophale Folgen für Mensch und Natur zu verantworten haben, werden nicht mehr von der deutschen Atomindustrie gefüttert. Und um das Quälen der Atombefürworter noch ein wenig zu steigern, steht ihnen eine "Erhöhung der Deckungsvorsorge" ins Haus. Ihnen wird das zusätzliche Geld nicht zur freien Verfügung stehen und damit ermöglichen z.B. alle Kläranlagen steuerfrei zu kaufen. Dieses wird echt zu verdienendes Geld sein, das in einem liberalisierten Strommarkt ein wirkliches Handikap der Wirtschaftlichkeit von Atomkratwerken darstellt.

Aus Gegnern Partner machen

Diese ganzen Maßnahmen im ersten Schritt und gesetzlich in den ersten 100 Tagen begonnen, werden in den Chefetagen der Atomkonzerne alle Alarmglocken anschlagen lassen. Diese werden sich mit ihren personell gut ausgestatteten Rechtsabteilungen auf allen Ebenen dagegen wehren. Da ist es dann ein schlauer Schachzug ihnen im zweiten Schritt unter der Prämisse des Ausstiegs Gespräche für eine neue Energiepolitik anzubieten. Wie sagte bereits bei den ersten Konsensgesprächen ein Vorständler eines Energiekonzerns: "Uns ist es egal, wie wir Geld verdienen, wir können das auch ohne Kernkraftanlagen". Und eine neue Energiepolitik muß in der Tat mehr enthalten als nur raus aus der Atomtechnik. Klimaschutz und Resourcenverknappung sind hier ebenso wichtig wie Effizienzsteigerung und arbeitsplatzintensive Dezentralisierung. Eine Umwandlung von Energieversorgungsunternehmen zu Energiedienstleistungsunternehmen und damit zentrale Forderungen der Energiewendebewegung steht hier Pate.

Daß damit das Ziel des Ausstiegs nicht aus den Augen verloren wird, zeigt sich an der exakten Begrenzung auf ein Jahr und daß der Konsens nur möglichst, aber eben nicht zwingend, angestrebt wird.

Im letzten Schritt wird dann ein Gesetz verabschiedet, "mit dem der Ausstieg aus der Kernenergienutzung entschädigungsfrei geregelt wird; dazu werden die Betriebsgenehmigungen zeitlich befristet". Wo können hier die Kritikpunkte liegen? Die Frage der Bindung an die Entschädigungsfreiheit wird in der letzten Zeit wieder in beide Richtungen diskutiert. Eine Entschädigung wäre hier nicht nur ärgerlich, sondern kontraproduktiv. Die grundsätzliche Zubilligung eines Entschädigungstatbestandes würde ein Faß an Gerichtsverfahren aufmachen, daß den Ausstieg verlängert. Die Schlagzeile "Staat hat kein Geld: Esenshamm bleibt am Netz!" wäre eine mögliche Folge. Die Argumentation läuft aber anders herum. Es wird den Betreibern nicht abgekauft, was ihnen rechtmäßig zusteht, sondern in der Vergangenheit falsch getroffene Entscheidungen werden korregiert. Damit sind auch die zeitlichen Befristungen der Betriebsgenehmigungen, die von der Gegenseite als Enteignung dargestellt werden, gerichtsfest zu machen.

Was bleibt

Bleibt als letztes die Erblast: der vorhandene Atommüll. Die gesamte Anti-AKW-Bewegung hat die sogenannte Entsorgung immer bekämpft unter dem Gesichtspunkt des weiteren Betriebes der Atomanlagen. Aus einer Bewegung gegen Atomkraftwerke wurde eine Bewegung gegen deren Abfall und dessen Transport. Der Abfall ist da und wird uns auch erhalten bleiben. Hier ist die Diskussion unter dem Gesichtspunkt der Ausstiegs neu zu führen. Die Koalitionsvereinbarung stellt dazu fest, "daß das bisherige Entsorgungskonzept für die radioaktiven Abfälle inhaltlich gescheitert ist und keine sachliche Grundlage mehr hat. ... ein einziges Endlager in tiefen geologischen Formationen ÄreichtÜ aus. " Die Anwohner dieses einen Endlagers werden nicht begeistert sein und es werden viele Transporte dahin gehen. Dagegen werden der Atomindustrie zwei ihrer Fetische entzogen: die Endlagererkundung in Gorleben wird unterbrochen und die Einlagerung in Morsleben wird endgültig beendet. Konsequenterweise müssen die Betreiber Zwischenlagerkapazitäten für die vorhandenen Atomabfälle schaffen und der Transport vom Atommüll wird auf ein Minimum beschränkt. Unter den real bestehenden Zuständen vereinbart der Vertrag ein Maximum an Umsetzungschance. Die Steine für den Ausstiegsweg werden von vielen Seiten kommen. Aus einigen Freunden werden Gegner werden. Alles in allem sehen wir hier einen Weg beschrieben, der sich nicht an Details sondern an Prinzipien orientiert und der von Erfolg gekrönt sein kann.

Thomas Myslik

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum