Oldenburger STACHEL Ausgabe 5/99      Seite 12
 
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Leserinnenbrief: Zum Thema Verläßliche Grundschulen

Der Artikel von Gernot Koch im "Stachel" 3/99 zum Thema "Verlässliche Grundschule" hat mich einmal mehr geärgert, und zwar, weil auch er es u. a. nicht fertig bringt, die volle Wahrheit über die Unterschiede der einzelnen Grundschulformen zu sagen.

Um auf den Artikel einzugehen:

Es stellt sich anders dar, es sind Schulleitungen und LehrerInnen, die gegen Eltern hetzen, die anderer Meinung sind, als sie selbst. Eltern haben bei normalem Verhalten von LehrerInnen dafür gar keine Veranlassung.

"Normale Grundschule" (GS)

Fakt ist, daß die Eltern der normalen Grundschulen unterrichtsmäßig damit zufrieden wären, wenn der Stundenplan ihrer Kinder in der 1. und 2. Klasse 100%ig erfüllt würde. Da aber diese 20 Unterrichtsstunden (bei normaler Klassenstärke von bis zu 22 Kindern) einen noch geringeren Zeitumfang als der Kindergarten und dazu noch unterschiedliche Anfangs- und Schlußzeiten hat, müssen sie häufig ihre Berufstätigkeit aufgeben. Und damit sind sie unzufrieden. Da es sich bei der Berufstätigkeit aus Betreuungsgründen ohnehin meistens um Halbtagsjobs handelt, ist a) eine Betreuung häufig zu kostenträchtig, b) die Unregelmäßigkeit des Stundenplanes den Arbeitgebern kaum zu vermitteln.

"Volle Halbtagsschule" (VHTS)

Es trauen sich in Oldenburg weder der Schulträger noch die Schulleitungen und LehrerInnen, die Tatsache zu nennen, daß VHTS wesentlich mehr Lehrerversorgung haben als normale Grundschulen. Das bedeutet für Oldenburg jede der 6 VHTS (ca. 28% der Oldenburger GrundschülerInnen) ist 30% besser versorgt als jede der 22 Grundschulen (ca. 72% der Oldenburger GrundschülerInnen). Für das Verschweigen dieser Tatsache gibt es mehrere Gründe.

Wer es ausspricht, wird als Aufwiegler der Eltern bezichtigt. Bis jetzt gab es erstaunlicher Weise kein Auseinanderdividieren der Eltern der VHTS und der normalen Grundschulen. Aber nun, wo es auch nach ca. 10 Jahren auch für letztere endlich die Chance auf den selben Betreuungszeitraum geben soll, fangen die Auseinandersetzungen an. Das ist sicherlich nicht vom Kultusministerium gesteuert.

Wenn diese Eltern auf der im Grundgesetz verankerten Grundlage "Chancengleichheit", "gleiches Recht für Alle" die VHTS fordern, müßten und würden ihnen sowohl der Schulträger wie auch die Kommunal- und Landespolitiker aller Parteien sagen, daß dafür kein Geld vorhanden (?) ist.

Fakt ist, es werden seit geraumer Zeit keine weiteren VHTS mehr zugelassen. Wie wollen Politiker und Pädagogen rechtfertigen und verantworten, daß es weiterhin ein "elitäres" und ein "reduziertes" Grundschulmodell geben wird, wenn die Möglichkeit besteht, vorhandene Ressourcen auf alle gleichmäßig zu verteilen. Daß die Eltern der "bevorzugten" Kinder aufschreien, ist nachvollziehbar. Aber wo bleibt die häufig geforderte Solidarität in unserer als egoistisch beklagten Gesellschaft? In der guten alten Zeit, als es noch "Volle Halbtagsschulen" gab und eine Vielzahl der Eltern sie für ihre Kinder forderten, waren es häufig die Kollegien, die sie aus genauso fadenscheinigen Gründen ablehnten, wie heute die "Verläßliche Grundschule". Wegen des Einstellungsstops müssen es dieselben Kollegien gewesen sein, die heute die "beste" Schulform, nämlich VHTS propagieren. Das war vermutlich auch im Interesse des Schulträgers, denn woher hätte er das Geld für die zusätzliche Ausstattung von 60.000 DM pro Schule ( = 360.000 DM für die bestehenden VHTS) nehmen sollen? Da hätten zusätzlich 1.320.000 DM für die 22 normalen Grundschulen ausgegeben werden müssen, und das Geld war und ist lt. Aussage nicht vorhanden. Es ist nicht das selbe , wenn zwei -Schulträger, Kultusministerium- das gleiche tun, in diesem Fall, beide nicht das Geld für die "beste" Möglichkeit aufbringen können. Das Kultusministerium versucht zumindest, eine verträgliche Situation für alle GrundschülerInnen, 100%, zu schaffen, selbst wenn dadurch in Oldenburg ca. 28% auf das einheitliche Niveau reduziert wird.

"Verläßliche Grundschule" (VGS)

Es wird die 100%ige Erteilung der Stundentafel bei der Festsetzung der LehrerInnenstunden zu Grunde gelegt (heute ca. 97%). Bei Krankheit von LehrerInnen sieht es so aus: Der Vertretungsunterricht soll stattfinden und die Schüler sollen nicht nach Hause bzw. auf die Straße geschickt werden. Ich kann den Widerstand dagegen nicht nachvollziehen. Warum soll es falsch sein, in einer Grundschule durch eine/n LehrerIn das so häufig beklagte vernachlässigte Üben in Lesen, Schreiben und Mathematik durchführen zu lassen? Das traue ich jedem/r LehrerIn (Lehramtsstudenten/In etc.) zu, auch ohne große Vorbereitung und bei plötzlichem Einsatz! Daß bei längerfristigem Ausfall einer Lehrkraft der Unterrichtsstoff fortgeführt werden muß, ist so selbstverständlich, daß es nicht erwähnt werden müßte. Auch hier habe ich offensichtlich größeres Vertrauen in die Fähigkeiten "studierter" Lehrer, als sie selbst. Ich wette, auf die Frage, ob das schaffbar ist, würde allein auf Grund der Frage ein Sturm der Entrüstung losbrechen, denn das hat "man" ja schließlich studiert.

Immer wieder bei den Betreuungspersonen den Zusammenhang zu 630DM Jobs herzustellen, halte ich für irreführende Polemik. Es liegt im Ermessen der Schulleitungen, qualifiziertes Personal einzustellen (und das ist in der "überschulten" Universitätsstadt Oldenburg zu finden), das dann auch normal bezahlt wird. Wenn sie sich dabei von Eltern unterstützen lassen würden, so daß die Eltern eine ihnen genehme Betreuungskraft hätten, gäbe es kaum Probleme, und wenn zufällig doch, kann die Betreuungskraft im Gegensatz zu LehrerInnen entlassen werden; so wie die Tagesmutter oder die Haushaltshilfe. Argumente wie, "Was ist in den Ferien?" kann entgegnet werden, in den auf das Jahr verteilte ca. 12 Wochen Ferien kann eine private Betreuung besser und kostengünstiger organisiert werden, als in 52 Wochen.

Situation in Oldenburg

Der Stadtelternrat (STER) hat selbstverständlich eine kontroverse Diskussion geführt. Die Eskalation, die den Rücktritt der Vorsitzenden, Frau Janßen, zur Folge hatte, kam von außen. Dahin führte, daß einzelne Schulleitungen und LehrerInnen Elternarbeit zu verhindern suchten, indem sie Post des STER nicht weiterleiteten und eine Umfrage an ihrer Schule verboten, was dem Schulgesetz entgegen steht. Die Umfrage hätte vermutlich ein eindeutiges Ergebnis für die VHTS ergeben. Selbst, wenn aus o. g. Gründen kein flächendeckende Einführung derselben möglich wäre, hätte es einen nicht zu übersehenden Elternwillen gegeben, und damit die Grundlage für zusätzliche Forderungen, z. B. das Junktim aufzuheben. Junktims haben die unangenehme Eigenschaft, eine Entscheidung zu fordern, entweder ganz oder gar nicht, was in diesem Fall bedeutet, nur VGS in Oldenburg oder alles bleibt, wie es ist. Das Statement des Vorstandes des Stadtelternrates besagt ganz eindeutig, daß er sich für alle Eltern die Schulform wünscht, die diese für ihre Kinder wollen. Das gilt für alle Schulformen und beinhaltet in letzter Konsequenz eine Aufhebung der Schulbezirke.

Zunehmend polarisierte Diskussion

Was bedeutet in diesem Zusammenhang "polarisiert", auf den Punkt (Pol) gebracht? Das hätte ich mir in Oldenburg gewünscht: mit kühlem Kopf eine Auseinandersetzung um die realen Hintergründe aller Bedenken der Gewerkschaftsmitglieder, Politiker, Schulleitungen und LehrerInnen, Hortpersonal und Eltern. Und das Ganze nach objektiver Information. Zu der Veranstaltung am 10.3. muß gesagt werden, daß die SPD überhaupt nicht beteiligt war. Der Schuldezernent der Stadt Oldenburg (seit 30 Jahren SPD-Mitglied) hatte den STER im Januar um eine Mitbeteiligung als Veranstalter gebeten, unter der Maßgabe, die Kultusministerin oder eine qualifizierte Vertretung aus dem Ministerium zur Information über die VGS einzuladen. Als am 8.3. dem Stadtelternrat durch einen Brief von dem SPD Abgeordneten Wulf klar war, daß aus den Ministerium niemand kommen könne, wegen schon vor langer Zeit angesetzter Parlamentssitzung, wollte er die Veranstaltung boykottieren. Daraufhin bot der Schuldezernent als Informantin eine als VGS-Gegnerin bekannte und mit der Entwicklung des Konzeptes nicht vertraute Schulleiterin an. Als der Stadtelternrat deshalb immer noch nicht teilnehmen wollte, zauberte er am 9.3. einen Regierungsschuldirektor aus dem Hut. Das veranlaßte den STER, die Veranstaltung mit durchzuführen. Im nachhinein bedauerlicher Weise, denn als nette Beilage kam es zu einer umstrittenen Abstimmung, die fälschlicher Weise als einmütige "gemeinsame Erklärung" der "sinnentnehmend" 500 Teilnehmer (bei Gernot Koch 300 Teilnehmer) dargestellt und an die Kultusministerin gesandt wurde.

Zu der von den SPD Abgeordneten Bockmann und Wulf initiierten Veranstaltung am 23.3. wurde durch die Presse eingeladen, sie war also für jeden offen. Was soll die falsche Darstellung von Gernot Koch, sie zeigt doch nur, daß es nicht mehr um Kinder und deren Bildung, sondern um parteipolitische Auseinandersetzung geht. Diese Veranstaltung war im Gegensatz zu der vom 10.3. wohltuend diszipliniert, was wohl der Teilnahme des Beamten aus dem Kultusministerium, der vorgesetzten Stelle, zu verdanken ist.

Kritik an der Verläßlichen Grundschule

Zu Vertretungsunterricht und Niedriglohnsektor habe ich mich schon oben geäußert.

Die Horte und andere Betreuungsalternativen, die häufig von Eltern initiiert wurden weil sie dringend erforderlich waren und die es lobenswerter Weise heute schon an vielen Schulen gibt, erreichen nur einen geringen Teil der Kinder. Der Bestand muß nicht gefährdet sein. Denkbar sind zeitliche Verschiebung und Koordination. Die Notwendigkeit der täglichen kostenlosen Betreuung wird sich erst dann zeigen, wenn sie angeboten wird, weil sich dann auch die Eltern von Schlüsselkindern, die sich keine Betreuungskosten leisten können, melden werden. Dann können sie endlich ihren täglichen Verpflichtungen nachkommen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben oder als "vernachlässigend" diskriminiert zu werden.

Auf die pädagogischen Aspekte der Kritik eingehend, muß die Realität des heutigen Zustandes hingewiesen werden. Immer häufiger klagen LehrerInnen, daß den sozialen Bedürfnissen der Kinder nicht nachgekommen werden kann, weil die ausgewiesene Zahl von ca. 97%iger Unterrichtsversorgung ständig krankheitsbedingt oder durch "verhinderte" LehrerInnen unterschritten wird und deshalb bleibt nicht einmal genug Zeit, den notwendigen Unterrichtsstoff zu vermitteln.

Die Durchführbarkeit des Konzeptes "Verläßliche Grundschule" wird sich mit seiner Verankerung im Schulgesetz und Einführung beweisen lassen. Wenn alle Beteiligten mit gutem Willen zum Wohle der Kinder daran mitarbeiten, ist es eine ausbaufähige Grundlage, damit zukünftig alle Kinder bekommen, was ihnen zusteht:

Hervorragende Bildung und sozial verträgliches Umfeld.

Lorna Sachal

 

 
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