Oldenburger STACHEL      
   

Eindrücke vom Strategiekongreß der Grünen in Bonn

Der Strategiekongreß fand vom 30.9. bis 1.10. in einem Hotel im Bonn statt. Nach der Einleitungsrede war der Kongreß in fünf Blöcke strukturiert.

Es war geplant, die Veranstaltung in dem riesigen Wintergartens des Hotels durchzuführen. Das Wetter warf diese Planungen über den Haufen. Die Sonne kam nicht durch, es nieselte, das Dach des Wintergartens war nicht dicht und das Licht von draußen war dem Wetter gemäß gräulich. Entsprechend waren Temperatur und Stimmung im Wintergarten eher kühl, der Strategiekongreß bereitete allen Beteiligten, wenigstens zu Anfang, kalte Füße und mir für die nächsten Tage noch leichte Kopfschmerzen.

Der Kongreß begann mit der Einleitungsrede von Jürgen Trittin. Der erste Eckpunkt der Rede war eine harsche Kritik an der Asylpolitik der Bundesregierung. In diesem Zusammenhang warnte Trittin davor, daß sich der Eindruck durchsetzen könne, "Bündnis 90/Die Grünen seien primär Regierung im Wartestand, argumentierten primär gesetzesimmanent". Daraus ergebe sich ein Problem, nämlich "Man kommt nicht an die Regierung, wenn man vorher nicht ordentlich Opposition gemacht hat".

Taten statt warten

Weitere Punkte waren der §218, die aktuelle Lage der grünen Partei, Militäreinsätze und die Standortdebatte. Trittin lehnte in seiner Rede Militäreinsätze in Bosnien sowie eine militärgestützte Außenpolitik ab. Bezüglich der "Standort Deutschland"-Debatte mahnte Trittin, diese nicht auf der Ebene der betriebswirtschaftlichen Opportunität für einzelne Unternehmen zu führen und auch nicht den dahinterstehenden Demokratie- und Sozialabbau zu übersehen. An dieses Thema schloß er eine Positionsbestimmung der Grünen auf der Basis einer Untersuchung ihrer WählerInnenschaft an. Über diese Analyse begründete er den Auftrag an die Grünen, deutlich gegen die Entsolidarisierung der Gesellschaft vorzugehen. Als Fazit schloß er: "Mit dem Mut, das Andere zu denken, anders zu handeln sind wir zur drittstärksten Kraft der Bundesrepublik geworden. Dieser Mut ist die Voraussetzung, es zu bleiben."

Die in der Rede deutlich werdende politische Aufbruchstimmung, jetzt erst recht nicht auf den Kurs der Altparteien einzuschwenken, prägte den gesamte Strategiekongreß. Während der folgenden Podiumsdiskussion zu der Frage "Dritte Kraft? Anspruch und Wirklichkeit - Wie werden Bündnis 90/Die Grünen wahrgenommen" herrschte aber eine noch stärkere Aufbruchstimmung auf der Suche nach warmen Getränken und geheizten Räumen. Die Diskussion war deshalb, trotz interessanter Redebeiträge, nicht besonders mitreißend.

Mir ist hauptsächlich eine in der Diskussion auftretende Kontroverse in Erinnerung geblieben, die meiner Meinung nach den in der Partei auftretenden Grundkonflikt deutlich macht.

Auf dem Podium saßen VetreterInnen aus Presse, Politikwissenschaft und Organisationen, die sich schon lange mit den Grünen beschäftigen bzw. mit ihnen zusammenarbeiten. Diese Zusammensetzung des Podiums wurde bemängelt, da keine grünenfernen VertreterInnen wie z.B. ManagerInnen eingeladen worden seien.

Die Basis bündnisgrüner Politik

In dieser Kritik wird das Ziel deutlich, Bündnis 90/Die Grünen viel breiter zu orientieren. Es ist klar, daß Die Grünen viel breiter zu orientieren. Es ist klar, da  Die Grünen in der Kritik eines Managers aus der Kfz-Industrie völlig anders abschneiden als in der Kritik einer Vertreterin eines Umweltverbands. Wenn die Kritik aus der Kfz-Industrie für die Grünen die gleiche Relevanz haben sollte wie Kritik aus den Umweltverbänden, müßte sich die Partei radikal nach rechts wenden. Ziel wäre hierbei, die ideelle Volkspartei zu werden, die repräsentativ die gesamte WählerInnenschaft abdeckte und dabei "vorne" wäre, was immer das hieße.

Dagegen steht die Realität, daß die grüne WählerInnenschaft in weiten Bereichen von den Gruppen der weniger Privilegierten und von AkademikerInnen gebildet wird.

Gegen die Wunschvorstellung, daß die Grünen eine "Kraft" wie die beiden Altparteien CDU/CSU und SPD werden/sein sollen steht das Festhalten an politischen Inhalten und Zielen sowie das Wissen darum, daß diese Ziele und Inhalte von der aktuellen StammwählerInnenschaft getragen werden. Mit dem Verlust des Anspruchs, eine Alternative zu den Altparteien zu bieten, würde den Grünen auch ihre StammwählerInnenschaft abhanden kommen. WechselwählerInnen können durchaus zwischen Original und einer überholenden, nach "vorne" drängenden grünen Kopie unterscheiden. Im Zweifellsfall werden sie sich für das Original entscheiden.

Nachdem diser Diskussionblock beendet worden war, wurde der Umzug der Versammlung in den einzigen zur Verfügung stehenden geheizten Raum bekanntgegeben. Die Diskussionen wurde in der Folge immer im Plenum und nicht wie geplant in kleineren Arbeitsgruppen geführt.

Als nächstes stand eine kritische Bilanz von grün-roten Koalitionen, speziell in Hinsicht auf Frauenpolitik, auf der Tagesordnung. Trotz des Problems, mit einer sich momentan demontierenden SPD eine Koalition aufzubauen, wurde diese Perspektive eher positiv gesehen. Besonders in Sachsen-Anhalt, wo die SPD genauso jung wie Bündnis 90/Die Grünen ist, scheint eine produktive Zusammenarbeit viel eher möglich zu sein als in den alten Bundesländern bzw. auf Bundesebene. Beide Rednerinnen aus Sachsen-Anhalt vermittelten eine recht zuversichtliche Stimmung bezüglich der dortigen grün-roten Koalition, aber auch die NRW-VetreterInnen machten einen optimistischen Eindruck.

Besonders kontrovers wurde die grün-rot Diskussion nicht geführt, sehr interessant war die ausführliche Schilderung der Situation und Arbeitsbedingungen von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen-Anhalt.

Das Thema Frauenpolitik stand im nächsten Themenblock "Ansprechpartnerinnen Bündnisgrüner Frauenpolitik: Zwischen Feministinnen und Tankgirls" neben "Bündnisgrüne und die Jugend: For ever young" noch einmal auf der Tagesordnung und wurde dort viel kontroverser diskutiert.

Die Zukunft von Bündis 90/Die Grünen

Die Vertreterinnen der Jungen Grünen und eine Vertreterin "der grünennahen Jugend" stellten ihre Positionen sehr provokativ, aber auch selbstkritisch dar. Stark verkürzt forderten die Jungen Grünen einerseits, nicht als eine Teilgruppe in der Partei betrachtet zu werden, andererseits beanspruchten sie für sich einen größeren Einfluß innerhalb von Bündnis 90/Die Grünen. Dazu kam eine kritische Selbsteinschätzung und die Forderung nach mehr Diskussion in der Partei. Die Jugendvertreterinnen selbst stellten als eines ihrer Probleme ihren an die vorhandenen Strukturen angepaßten Lebensstil dar, der für sie selbst mit vielen angenehmen Seiten verbunden sei. Die folgende Debatte im Plenum war dann weniger spannend als ich erwartet hatte. Obwohl sich die Möglichkeiten geradezu aufdrängten, einzelne Aussagen und Forderungen anzugreifen, wurde die Auseinandersetzung sehr sanft und wohl auch mit etwas Wehmut geführt.

Überspitzt k"nnte ich sagen, da  die Partei den Nachwuchs hat, den sie verdient. Ich habe den Eindruck, da  in der Partei, auch um in den Medien nicht als unangepa t aufzufallen, in den letzten Jahren eine Menge Themen nicht in der notwendigen Tiefe diskutiert worden sind. Diese Diskussionsfaulheit und -vermeidung machten für die t,gliche Kleinarbeit eine Menge Zeit frei und verbesserten teilweise die M"glichkeiten zum Agieren im Mainstream. Viele der lange aktiven Grünen haben ihre Positionen auch schon in der grünen Anfangszeit abgrundtief ausdiskutiert. Problematisch an diesem Vorgehen ist, da  Neuhinzukommende, ob jung oder alt, und die Öffentlichkeit nur ein diffuses Bild von den Positionen der Grünen erhalten. Die Partei hat in diesem Sinn bei ihrer Aufgabe, an der politischen Willensbildung der Gesellschaft mitzuwirken, gerade bei grunds,tzlicheren, richtungsweisenden Fragen einiges liegenlassen. Dieses ist besonders im Hinblick auf den politischen Nachwuchs unglücklich, da dort jetzt die Konzepte und Ideen abseits des politischen Tagesgeschäfts fehlen, die für eben diese Kleinarbeit handlungsleitend sind bzw. sein könnten. Dort fehlen die Ziele, die anzustreben die Arbeit und Kraft lohnen würde.

Nun gut, nachdem die Jugenddiskussion mit viel Wohlwollen beendet worden war, verschwand "die Jugend" mehrheitlich innerhalb kürzester Zeit aus dem Raum, so daß die Frauenpolitik ohne sei besprochen werden konnte bzw. mußte.

Frauenpolitik ist Mehrheitenpolitik

In der Diskussion um die Frauenpolitik der Grünen taten sich zwischen der Frauen recht breite Gräben auf. Besonders bemerkenswert fand ich zwei Redebeiträge von Frauen, die dem bisherigen Feminismus bescheinigten, gescheitert zu sein. Ein junge Ratsfrau begründete damit ihre neue Zielvorgabe, weniger gegen die herrschenden Strukturen vorzugehen, sonden sich eben darin gegen die Männern durchzusetzen. Noch stärker in diese Richtung ging der Redebeitrag von Waltraud Schoppe, die darüber ihren Abschied aus dem "weichen" Bereich Frauenpolitik und den Wechsel in den "harten" Bereich Außenpolitik begründete. Ihr Redebeitrag in Kombination mit ihrer Zielvorstellungen einer militärisch gestützten Außenpolitik traf auf starken Widerspruch.

Als ein Resultat dieser Diskussion ist zu sehen, daß die herrschenden Strukturen auch weiterhin nicht akzeptiert werden - und daß in Zukunft auch verstärkt Männer dazu mobilisiert werden sollen, diese Strukturen nicht mitzutragen.

Aus einer starken Auseinandersetzung zwischen vor allem einigen Frauen der Bundestagsfraktion ergab sich zusätzlich der Arbeitsauftrag für die Fraktion, daß die dort in der Mehrheit vorhandenen Frauen und hoffentlich auch die Männer in Zukunft verstärkt Frauenpolitik in den Vordergrund bringen sollen. Inwieweit sie das gegen die Medien und die Patriarchen der Partei schaffen werden, bleibt spannend.

Nach den Diskussionen stand für den Abend ein "Grünes Fest" auf dem Programm. Da einerseits der letzte Diskussionsblock länger als vorgesehen gedauert hatte und es anderseits im Wintergarten immer noch kalt war, plätscherte die Fete eher dahin, zumal viele im geheizten Raum weiterdiskutierten.

Der nächste Tag begann mit der Diskussion des Themas "Außen- und Sicherheitspolitik - haben wir die richtigen Antworten?". Während der Referate von Fischer und Volmer waren die Medien massiv anwesend, die Diskussion im Plenum wurde dagegen kaum beachtet.

Ohne Militär in die Zukuft

Fischers momentanes Vorgehen ist das Aufdecken von (angeblichen) Lücken und Defiziten in den grünen Politikkonzepten. Entsprechend sprach er sich in seinem Plädoyer für die Übernahme der von in den Altparteien getragenen und bewährten Konzepte aus. Für die Außenpolitik forderte er die Akzeptanz militärischer Strukturen und der traditionellen Denkmuster. Ganz kritiklos wollte er die alten Konzepte und Strukturen aber er nicht übernehmen, sondern plante deren weitere Ausarbeitung und gewisse Korrekturen ein.

Volmer hingegen stellte einen weitgehenden Umbruch der vorhandenen internationalen Strukturen in den Vordergrund, in die er die BRD dann fest eingebunden sehen will. Einer militärischen Intervention in Bosnien bzw. einer militärisch gestützten Außenpolitik erteilte er eine klare Absage. Als äußerstes Mittel der Gewaltanwendung zwischen Staaten sah er das Embargo vor. Alle übrigen Mittel nichtmilitärischer Konfliktverhinderung und -beseitigung sollen viel stärker gefördert und weiterentwickelt werden.

Volmers Position stellte die Mehrheitsmeinung dar, wobei es noch Kritik an Punkten gab, in denen er sich Fischer zu sehr angenähert hatte.

Fischers in zwei Papieren zusammengefaßten und über die Presse verbreiteten Thesen über eine grüne Militär- und Wirtschaftspolitik wurden von der Mehrheit der KongreßteilnehmerInnen als inhaltlich defizitär betrachtet und stellten eher ein Minderheitenvotum dar.

Bemerkenswert ist, daß die Medien sich allein auf die Wahrnehmung der Positionen von zwei Personen beschränkt haben. Die vielen guten und differenzierten Diskussionsbeiträge aus dem Plenum wurden kaum wahrgenommen.

Hier stellt sich die Frage, wie grüne Inhalte sich noch vermitteln lassen, wenn die Medien sich auf die Darstellung von einigen, an wenigen Personen festgemachten Standpunkten beschränken. Langfristig wird eine offene Diskussion unter vielen Leuten abgewürgt, wenn die MedienvertreterInnen ihre eigene Politik darüber durchsetzen, was sie nicht berichten. Wer soll kontinuierlich die Kraft für die Beteiligung an solchen für die (innerparteiliche) Demokratie lebensnotwendigen Diskussionen aufbringen, wenn schon vorher feststeht, daß nur die Vorstellungen von wenigen, schon vorher festgelegten Personen berücksichtigt werden?

Die Grünen

Der letzte Diskussionsblock zu dem Thema "Fazit des Grünen Kongresses. Bündnisgrüner Standort: welche Grundsätze, welche Perspektive, welche Strategien haben wir - und welche brauchen wir?" litt schon darunter, daß viele Leute aufbrachen. Das meiste zu den Zielen und Strategien war schon in den eineinhalb Tagen zuvor deutlich geworden und die vorangangene Militärdiskussion hatte vielen eine Menge Kraft geraubt." sind

nicht nur eine Person"Der letzte Diskussionsblock zu dem Thema "Fazit des Grünen Kongresses. Bündnisgrüner Standort: welche Grunds,tze, welche Perspektive, welche Strategien haben wir - und welche brauchen wir?" litt schon darunter, da  viele Leute aufbrachen. Das meiste zu den Zielen und Strategien war schon in den eineinhalb Tagen zuvor deutlich geworden und die vorangangene Milit,rdiskussion hatte vielen eine Menge Kraft geraubt.

Ich denke, daß dieser Kongreß gezeigt hat, daß die Grünen tatsächlich noch nicht zu einer one-man Partei mutiert sind, wie es manchmal in den Medien die Realität zu seien scheint. Auf diesen Kongreß sollen noch weitere folgen, und ich glaube, daß die Partei darüber wieder mehr Schwung und Energie bekommen wird, auch um die momentane Regierung aus ihrem Kurs in tiefschwarze Zeiten zu werfen.

Richard Meinsen


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